Interview

Ökonomin: Deutlich weniger Geld für Corona-Hilfen als in den letzten beiden Jahren

Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria. © M. Köppl-Turyna
Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria. © M. Köppl-Turyna
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Aktuell sind mehrere Themen brisant: Neuerliche Lockdowns, wiederholte Forderungen nach Wirtschaftshilfen, rasant steigende Inflation – und fast schon ein Luxusproblem: Fachkräftemangel. Im großen Interview mit Trending Topics spricht Monika Köppl-Turyna, seit November 2020 Direktorin von Eco Austria, einem Institut für Wirtschaftsforschung, über die Effekte der Inflation, über neue Wirtschaftshilfen und über Standortnachteile Österreichs.

Trending Topics: Beginnen wir bei den neuen Lockdowns. Der Handel abseits der Supermärkte befürchtet neuerliche Umsatzeinbrüche, wenn die Ungeimpften wegbleiben. Wie dramatisch ist die Situation? Wird das einmal mehr den sehr internationalen E-Commerce befeuern?

Monika Köppl-Turyna: Die Situation heuer ist mit dem Vorjahr, wo es noch keine Impfung gab, nicht vergleichbar. Es wird wohl keinen „vollen“ Lockdown in dieser Form mehr geben. Interessanterweise ist der Umsatz im Internet-Handel im Sommer 2021 – wo ja keine Beschränkungen galten – nicht wirklich auf das Vorkrisen-Niveau zurückgekehrt. Für mich ist das ein Zeichen, dass die Pandemie den Trend zu E-Commerce beschleunigt hat, aber dass es wohl in vielen Fällen auch kein Zurück mehr gibt. Und Österreich mit 5 % Umsatz aus E-Commerce liegt immer noch deutlich unter dem EU-Schnitt von 7% und noch mehr hinter Irland mit 20 % oder UK mit 10%.

Bisher ist eine Pleitewelle dank der massiven Corona-Hilfen ausgeblieben. Wird der vierte Lockdown nun der Katalysator für eine lang erwartete Pleitewelle?

Bisher liegen die Insolvenzen in den ersten drei Quartalen 2021 auf deutlich niedrigerem Niveau als sogar 2020. Gemessen an einem „normalen“ Jahr sind es um die Hälfte weniger Insolvenzen. Dies ist einerseits auf branchenspezifische Entwicklungen zurückzuführen, etwa minus 68 % Insolvenzen im Gesundheitswesen. Und andererseits auf sehr großzügige Hilfsprogramme in manchen Bereichen – etwa minus 57 % Insolvenzen in Sport, Kultur und Kunst. Ich denke nicht, dass der vierte Lockdown daran etwas ändert, weil sollte es so weit kommen, wird er mit Sicherheit mit begleitenden Hilfsmaßnahmen stattfinden.

Unternehmen können nach wie vor Kurzarbeit beantragen. Dennoch stellt sich die Frage, ob diese Situation eine erfreuliche ist. Die Tatsache, dass es deutlich weniger Insolvenzen gibt als in „normalen“ Jahren ist auch ein Zeichen dafür, dass es hier wenig Marktdynamik gibt und somit weniger Produktivitätszuwachs. Gerade in der Startup-Branche weiß man, wie wichtig das ist, wenn neue Geschäftsmodelle und Produkte alte Ideen ersetzen.

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Von Seiten des Handelsverbands und der Wirtschaftskammer kommen neue Forderungen nach Hilfsmaßnahmen. Wie groß müssen diese sein, bzw. wie groß können sie überhaupt sein?

Hilfsmaßnahmen bei gesetzlich verordnetem Lockdown werden wohl unausweichlich sein. Zwei Bedingungen müssen dafür aber gegeben sein: Es sollen keine Unternehmenshilfen an Betriebe genehmigt werden, die nicht unmittelbar getroffen werden, sondern etwa mit anderen unternehmerischen Schwierigkeiten kämpfen. Und zweitens soll höchstmögliche Treffsicherheit gelten. Wir sollen von Maßnahmen, wie etwa dem Umsatzersatz eher absehen und gezielte Instrumente wie etwa Kurzarbeit, Verlustersatz und ähnliches anwenden.

Auch der Verlustrücktrag war ein wichtiges und treffsicheres Instrument in der Pandemie. Es ist richtig auf solche Instrumente zu setzen, weil sonst besteht das Risiko, dass auch Firmen, die nur mehr aufgrund der Hilfen überleben, gefördert werden. Das hat längerfristige negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsdynamik.

Wie viel Geld hat Österreich noch für etwaige Corona-Hilfen?

Im Budget 2022 werden für die Corona-Pandemie etwa 3,8 Milliarden Euro eingeplant. Etwa 1,3 Milliarden entfallen auf Gesundheit (z.B. Beschaffung von Impfstoff, Testungen), weitere 1,6 Milliarden sind Hilfen – etwa als COFAG-Zuschüsse oder Garantien durch aws, ÖHT und OeKB. Darüber hinaus gibt es aber eine Ermächtigung in der Höhe von 5 Milliarden für unvorhergesehene Maßnahmen. Dennoch ist das deutlich weniger als in den letzten beiden Jahren, die jeweils mit zweistelligen Milliardenbeträgen abgeschlossen worden sind.

Die Frage, wie viel Geld man hat, ist natürlich nicht so leicht zu beantworten. Man kann die Hilfen mit einem Defizit bzw. Neuverschuldung finanzieren, aber mittelfristig ist das natürlich riskant, weil die Märkte irgendwann auf höhere Verschuldung reagieren werden und den Staaten das Geld nicht mehr so günstig leihen. Wenn man ein ausgeglichenes Budget haben will, kommen die Hilfen zulasten anderer budgetärer Posten, etwa Bildung oder Investitionen. Das ist auf Dauer auch schädlich. Natürlich muss zuerst aber die gesundheitliche Krise beseitigt werden.

Die Inflation hat in den USA, der Eurozone und etwas schwächer auch in Österreich mit 3,6 Prozent im Oktober neue Rekordwerte erreicht. Werden neue Lockdowns diese Inflation zusätzlich ankurbeln?

Lockdowns an sich wirken allgemein eher deflationär – das haben wir auch im Jahr 2020 beobachtet. Wo es keine Konsummöglichkeiten gab, sanken die Preise. Für die Entwicklung der Inflation ist aber dennoch wichtig, wie es mit der Pandemie weitergeht. Die derzeitige Inflation hat im Wesentlichen zwei Gründe: Einerseits haben wir mit den Hilfsmaßnahmen die Einkommen der Personen und die Liquidität der Unternehmen soweit gesichert, dass es nach der Lockerung der Maßnahmen durch „angestautes“ Geld zu einem massiven Anstieg der Nachfrage kam. Gleichzeitig aber haben viele Firmen in der Pandemie die Kapazitäten runtergefahren und es kam auch zu Logistik-Problemen aufgrund der Bekämpfungsmaßnahmen – das verknappte das Angebot. So haben wir einen positiven Nachfrageschock, der auf einen negativen Angebotsschock trifft.

Zweitens: Viele Unternehmen sind gerade in der Erwartung von Lieferproblemen, lassen die Produkte auf Lager liefern, was zusätzliche Kosten verursacht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass nach Corona die Angebotsprobleme beseitigt werden. Die starke Nachfrage wird aber nicht zuletzt wegen der Geldpolitik und Fiskalpolitik stimuliert. Milton Friedman sagte berühmterweise „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen in dem Sinne, dass sie nur durch einen schnelleren Anstieg der Geldmenge als der Produktion erzeugt wird und werden kann“.

Das heißt im Klartext: Mit der derzeitigen Geldpolitik kommt es zur dauerhaften Erhöhung der Preise, die auch nur durch Geldpolitik wieder beseitigt werden kann.

Wen trifft die Inflation am härtesten?

Das kommt erstens darauf an, was wir unter Inflation verstehen. In Europa wird grundsätzlich der so genannte Consumer Price Index (CPI) als Maßstab genommen. Dazu gehören prinzipiell Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs und Mietkosten, aber zum Beispiel keine Sachwerte wie Eigenheim (das soll von der EZB nun geändert werden). Die so gemessene Inflation trifft am stärksten die Niedrigverdiener:innen, weil deren Einkommen zum größten Teil für diese Güter verwendet und nur sehr wenig gespart wird.

Niedrigverdiener:innen, die aber bereits Einkommensteuer zahlen, sind auch anteilsmäßig durch „kalte Progression“ – eine direkte Folge der Inflation – betroffen. Hier wird der höchste Prozentsatz des Einkommens durch kalte Progression mehr an Steuer bezahlt als bei den Besserverdienern. Würden wir Immobilienpreise in die Inflation reinrechnen, verkompliziert sich die Kalkulation – hier sind vor allem jüngere Menschen oder mobile Menschen viel stärker betroffen als jemand, der schon lange in einem Eigenheim wohnt. Diese Gruppen sind aber auch überproportional stark von Mietsteigerungen, die eine Konsequenz der Preissteigerungen sind, betroffen.

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Die hohe Inflation wird oft und gerne als Grund für Investments in Aktien, ETFs und Krypto-Assets angesehen. Stimmt das? Ist die Inflation Mitgrund für den enormen Preisanstieg bei Bitcoin und Co?

Ich würde es eher so formulieren: die Geldpolitik ist Ursache der Sparflucht, zum Teil der „normalen“ Inflation und vor allem der Vermögenspreisinflation. Niedrigzinsen oder gar negative Zinsen gepaart mit selbst nur moderater Inflation bedeuten für die Sparer Realwertverlust. Deswegen suchen Investoren nach Alternativen. Wir haben inzwischen große und schlüssige ökonomische Literatur, die besagt, dass die so genannte „Vermögenspreisinflation“ – hier zählen wir etwa Börsenkurse, Bitcoin, Gold oder Immobilien dazu – eine direkte Folge der lockeren Geldpolitik ist. Das Problem, das damit verbunden ist, ist, dass zusätzliche Einkünfte sehr ungleich verteilt sind.

Der so genannte Cantillon-Effekt besagt, dass sich eine Erhöhung der Geldmenge nicht gleichmäßig auf alle Bereiche einer Volkswirtschaft verteilt, sondern in Stufen, wobei manche Bereiche – insbesondere der Banksektor, staatsnahe Firmen, der Unternehmer-Sektor und politisch begünstigte Gruppen – zuerst profitieren, während der Rest der Volkswirtschaft später folgt oder gar nicht von der Geldschöpfung profitiert. Das hat eine dramatisch steigende Vermögensungleichheit als Folge und es erschwert den Vermögensaufbau für die breite Bevölkerung.

Europa hat 2021 noch nie dagewesene Investments in Startups und Scale-ups gesehen. Ist auch hier die steigende Geldentwertung eine Ursache? Weil Investor:innen sich aus dem Euro flüchten und andere Assets zukaufen wollen?

Das ist sicher auch mit ein Grund. Einerseits ist das erfreulich, weil die VC-Investments in Europa noch immer niedriger sind als in den USA. Andererseits verliert Geld durch den Anstieg der Geldmenge eine wichtige Funktion, und zwar die Informationsfunktion. Wenn Geld knapper wird, werden nur die „besten“ Projekte finanziert, wenn es zu viel davon gibt, ist es einfacher, auch für wenig aussichtsreiche Projekte Finanzierung zu bekommen. Das kann unter Umständen sehr ineffizient sein, weil Produktionsfaktoren – etwa Fachkräfte – in den Unternehmen gebunden bleiben, die dort vielleicht nicht so produktiv sind wie anderswo. Das kann mittel- und langfristig schädlich sein.

Jene Unternehmen, die trotz Krise florieren, kämpfen weiter mit einem Fachkräftemangel. Der ist nicht mehr nur auf Tech beschränkt, sondern hat auch den Tourismus erfasst. Welche Branchen sind am stärksten betroffen?

In Österreich betrifft die Fachkräftekrise vor allem Handwerker:innen-Berufe – knapp die Hälfte aller Unternehmen in diesem Bereich sagen inzwischen, dass sie „stark“ betroffen sind. An der zweiten Stelle mit 20% der Unternehmen sind es Techniker:innen, an der dritten Stelle das Gastgewerbe mit etwa 17 % aller Firmen. Wien ist hier etwas speziell, weil aufgrund des starken Dienstleistungsfokus vor allem IT-Techniker:innen gesucht werden – das betrifft auch die Startups und in Summe mehr als 22 % der Firmen.

Österreich hat mehr als 110.000 beim AMS gemeldete offene Stellen – das ist das Vierfache von dem, was etwa 2014 zu sehen war. Der Wirtschaftsbund hat erhoben, dass es sogar mehr als 250.000 sind – wenn man die Stellen, die gar nicht über das AMS ausgeschrieben werden, reingerechnet. Das sind auch vor allem höher qualifizierte Berufe.

Aus- und Weiterbildung ist ein langwieriger Prozess. Wie kann man dem Fachkräftemangel kurzfristig begegnen? Etwa über eine Öffnung der RWR-Karte?

Die Lösung der strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt ist notwendig, um den Wirtschaftsaufschwung nicht zu bremsen. Die Maßnahmen müssen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite, sowie bei der Vermittlung gesetzt werden. Auf der Angebotsseite können Änderungen in der Arbeitslosenunterstützung wirken: etwa degressives Arbeitslosengeld, Streichung der Zuverdienstgrenze sowie Qualifizierungsmaßnahmen. Weibliche Arbeitskräfte müssen auch animiert werden – etwa durch den Ausbau der Kinderbetreuung, die es ermöglicht, dass beide Eltern einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen können.

Und hier spielt auch die Rot-Weiss-Rot-Karte eine enorme Rolle. Langfristig, nicht zuletzt aufgrund der demographischen Entwicklungen, wird es zunehmend schwierig, den Arbeitsmarkt nur mit inländischen Arbeitskräften zu bedienen. Auf der Nachfrageseite spielen natürlich die Nettolöhne die wichtigste Rolle – da hilft je nach Elastizität der Arbeitsnachfrage die Reduktion der Lohnnebenkosten bzw. für spezifische Gruppen (z. B. Ältere, Frauen oder Personen mit niedrigerer Produktivität) Lohnsubventionen oder Einstellungsförderungen. Bei der Vermittlung könnte man stärker Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, etwa Algorithmen, die Vermittlungschancen berechnen und individualisierte Angebote aufbereiten.

Die Senkung der Lohnnebenkosten, die in Österreich im Europavergleich sehr hoch sind, wird immer wieder gefordert – warum wird das nicht umgesetzt?

Österreich mit dem „Tax Wedge“ von über 47 % – das heißt knapp die Hälfte der Arbeitskosten entfällt auf die Abgaben – liegt auf Platz 3 unter den OECD-Ländern, hinter Deutschland und Belgien. Wichtig ist auch, dass die Abgabenlast nicht wieder heimlich steigt, in dem die kalte Progression endlich abgeschafft wird. Diese hat mitunter dazu geführt, dass sich die Belastung der Arbeit trotz mehrerer Reformen seit dem Jahr 2000 de facto nicht verändert hat. So hat beispielsweise ein Arbeitnehmer mit Einkommen um die Höchstbeitragsgrundlage im Jahr 1975 44,5 Prozent des Bruttoeinkommens an einkommensabhängigen Abgaben abführen müssen. Heute zahlt eine Person, die Mindestlohn bezieht, 44,3 Prozent. Dieser Zustand ist ein erheblicher Nachteil im internationalen Wettbewerb.

Das Problem ist natürlich, dass die Abgaben – vor allem die Sozialversicherungsabgaben und weitere Lohnnebenkosten – die Ausgaben finanzieren, die eine geradezu explosive Dynamik aufweisen. Aufgrund der demographischen Entwicklungen werden diese ohne Reformen aber weiter steigen. Bis zum Jahr 2060 bedingt durch die demographische Entwicklung in den Bereichen Pensionen, Pflege, Gesundheit um 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen werden, das sind auf heute bezogen etwa 17 Mrd. Euro pro Jahr mehr.

Die Demografie wirkt aber schon wesentlich früher, denn die Baby-Boomer gehen bereits jetzt in Pension. Das führt dazu, dass in den nächsten 10 Jahren die Pensionsausgaben kumuliert um 19 Mrd. Euro höher ausfallen werden. Ohne einer Pensionsreform und eines schlüssigen Konzeptes für Pflege wird Senkung der Lohnnebenkosten schwierig sein. Die Steigerung der Effizienz in weiteren öffentlichen Bereichen etwa Föderalismus würde auch den Druck auf Erhöhung der Einnahmen wegbringen.

Kommt nach der Insolvenzwelle eine neue Gründerwelle, Monika Köppl-Turyna?

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