Hintergrund

Talenthouse: Kreative bangen um ihr Geld, während Gründer an der Rettung arbeitet

Brennendes Haus. © Daniel Tausis auf Unsplash
Brennendes Haus. © Daniel Tausis auf Unsplash
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An der Spitze der Creator Economy mit der weltweit größten Kreativ-Community mit über 19 Millionen Mitgliedern, davon 10 Millionen Kreative: So stellt sich das börsennotierte Unternehmen Talenthouse auch heute noch dar. Foto-Shootings, Werbe-Slogans, Song-Kompositionen, Designs für Games – als Drehscheibe zwischen kreativen Köpfen und großen Marken wurden Aufträge vermittelt. Doch längst wissen viele, die mit dem Unternehmen und insbesondere den zugekauften Tochterfirmen EyeEm und Jovoto aus Deutschland arbeiteten: Das digitale Haus der Talente bricht gerade in sich zusammen und muss drastisch umgebaut werden, um überleben zu können. Von der einstigen Börsenbewertung von 450 Millionen Dollar, die im März 2022 erreicht wurde, ist so gut wie nichts über. THAG-Aktien sind um 99,93 % eingebrochen, das Unternehmen ist gerade noch 7 Millionen Euro wert.

Und mitten drinnen: die Kreativen, für die Talenthouse gebaut wurde. Sie haben etwa über die Plattform Jovoto Aufträge von großen Brands wie Sony, N26, Netflix, Google, Disney oder Henkel bekommen. Für selbstständige Kreative war das ein spannender digitaler Kanal, um auch mal Projekte für große Marken umsetzen zu können. Es wurde zwar nicht sonderlich gut bezahlt, aber jene, die Spaß an der virtuellen Auftragsarbeit hatten, machten gerne (und manchmal viele Jahre) mit. Doch spätestens seit der Übernahme von Jovoto im März 2022 durch Talenthouse, rund um dessen Börsengang an der Schweizer Börse SIX, lief es nicht mehr richtig rund.

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„Nicht länger zu finanzieren“

Denn Jovoto steht ähnlich wie die Schwesterfirma EyeEm, die ebenfalls von Talenthouse als Plattform für Fotograf:innen zugekauft wurde, vor dem Aus. Mit der Folge: Eine Gruppe von mindestens 39 internationalen Kreativen wartet seit geraumer Zeit auf ausstehende Honorare in Höhe von mindestens 41.000 Euro. Da Talenthouse kürzlich eine massive Restrukturierung des Unternehmens verkündete und dabei auch kommunizierte, dass die Tochtergesellschaften Talenthouse Ltd, die TLNT Group, Zoopa.com, EyeEm und eben Jovoto „nicht länger zu finanzieren“ seien, fürchten diese Kreativen nun, das ausständige Geld niemals mehr zu sehen. „Seit Monaten versuchen wir an unser Geld zu kommen, aber Talenthouse versucht bislang, uns am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen“, so ein Sprecher der Gruppe gegenüber Trending Topics. Es sei unter anderem auch eine ukrainische Kreative dabei – sie hätte wegen dem russischen Überfall fliehen müssen, jeder Euro würde ihr helfen.

Drüben bei Talenthouse hat nach dem Rauswurf der vorher zuständigen Manager Claire McKeeve und Scott Lanphere wieder einer der Gründer interimistisch das Ruder in der Hand: der Österreicher Roman Scharf. Er gründete Talenthouse 2009 im Silicon Valley mit, als Online-Plattform für Kreative. Zuletzt war er schon länger nicht mehr operativ für das Unternehmen mit Hauptsitz in London tätig, eigentlich hat er sich die letzten Jahre auf seinen Scale-up-Fonds 3VC fokussiert. Nun ist er aber zwischenzeitlich als Verwaltungsratspräsident eingesetzt und versucht, bei Talenthouse zu retten, was zu retten ist. Die Situation der Kreativen, immerhin das Herzstück der Online-Plattform, versteht er. Und verspricht ihnen: „Die Kreativen werden auf jeden Fall ihr Geld bekommen, ich rechne mit der Überweisung der Honorare in den nächsten vier bis acht Wochen.“

Ist Talenthouse nun tot? Noch nicht, und eigentlich wäre ja ein Markt da. Speziell Jovoto war nach der Übernahme durch Talenthouse im Vorjahr aber permanent im Krisenmodus. Der einstige Gründer soll lange krank gewesen sein, und ein Großkunde von Jovoto kürzte ordentlich Marketing-Budgets, was sich wiederum negativ auf die Umsätze der vor allem in Deutschland verankerten Plattform auswirkte. Die Abwärtsspirale drehte sich weiter, bis dann zuletzt Gehälter der festen Mitarbeiter:innen, Sozialversicherungsbeiträge und die Honorare der Kreativen nicht mehr gezahlt werden konnten. Dabei war die Plattform einmal ziemlich beliebt.

Talenthouse-Aktie stürzt Richtung Null.
Talenthouse-Aktie stürzt Richtung Null.

„Es machte wirklich Spaß“

„Die Motivation bei Jovoto teilzunehmen, bestand darin, dass man abwechslungsreiche Projekte für renommierte Kunden umsetzen durfte“, erzählt ein deutscher Freiberufler, der seit 2010 zahlreiche Projekte auf Jovoto bearbeitet und abgeschlossen hatte. „Für einen freiberuflichen Kommunikationsdesigner ist es ja ansonsten kaum möglich, an einen Auftrag von Kunden wie Audi oder Henkel zu kommen und sich z.B. den neuen Slogan für ein bekanntes Haar-Shampoo einfallen zu lassen.“ Finanziell sei das Ganze gar nicht mal lukrativ gewesen. „Für die meisten Projekte gab es 500 bis 800 Euro, bei einer vorgesehenen Arbeitsstunde von 50 Euro. Tatsächlich war es dann so, dass man statt zwei Tagen 4 oder 5 Tage dafür brauchte, da mindestens zwei unterschiedliche Beiträge abzuliefern waren. Aber man nahm das in Kauf, weil es wirklich Spaß machte.“

Doch mit dem Spaß ist es vorbei, die Fronten sind verhärtet. Weil Talenthouse nicht reagierte, wendeten sich die Kreativen Mitte Februar 2022 an die IG Metall, Deutschlands größte Gewerkschaft, weil diese auch die Rechte von Crowdworkern im Web über die Initiative „Fair Crow Work“ vertritt. Es wurde ein Ombudsverfahren eingeleitet, um die Sache mit den offenen Honoraren zu regeln.

Währenddessen muss Gründer Scharf versuchen, das Ruder doch noch herum zu reißen. „Es ist ein sehr unangenehmer, aber notwendiger Prozess. Niemand will ein solches Ausgleichsverfahren, aber es muss sein. Die Restrukturierung der Firmen läuft, und parallel dazu machen wir eine Kapitalerhöhung. Es gibt Investoren-Zusagen von 25 Millionen Euro, und es könnten noch mehr werden“, sagt er. Scharf will auch nicht, dass Jovoto und EyeEm für immer die Pforten für die Kreativen schließen müssen. „Unser Ziel ist, die Plattformen zu erhalten, sowohl jene von Jovoto als auch von EyeEm. Wie das Branding künftig aussehen wird, ist derzeit noch nicht beschlossen.“ Nun bleibt abzuwarten, wann und wie viel Geld die Investoren springen lassen – und wann die Kreativen ihre ausständigen Honorare bekommen werden. Fortsetzung folgt.

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