Interview

WIR Energie: Kärntner bauen größtes dezentrales Sonnenkraftwerk Österreichs

Das Team von WIR Energie am Dach. © WIR Energie
Das Team von WIR Energie am Dach. © WIR Energie

WIR – das steht für „Wir“, aber auch für „Wir investieren regional“ und damit für das Kärntner Unternehmen WIR Energie der drei Gründer Christian Garz, Michael Jaindl und Matthias Nadrag. Sie haben 2016, damals noch unter dem Namen Novalux, gegründet und können heute von sich behaupten, an mehr als 80 Standorten Ökostrom zu produzieren. Das funktioniert, indem die Klagenfurter es Bürgern, Unternehmen sowie Gemeinden per Crowdfunding und Franchise-Modell ermöglichen, Photovoltaikanlagen als Bürgerkraftwerke zu planen und zu finanzieren.

Im Interview spricht Geschäftsführer Matthias Nadrag darüber, wie sein Unternehmen dieses Jahr auf 100 Sonnenkraftwerke kommen könnte, warum 2020 ein Rekordjahr für den Ausbau von Photovoltaik werden könnte und was er sich vom kommenden neuen Gesetz für den Ausbau von erneuerbaren Energiequellen erwartet.

WIR Energie will das größte dezentrale Sonnenkraftwerk Österreichs bauen – wie kann das gelingen?

Matthias Nadrag: WIR Energie versorgt an bereits mehr als 80 Standorten in ganz Österreich Wohnanlagen, Kommunalinfrastruktur, Gewerbe- und Industriebetriebe mit Sonnenstrom vom eigenen Dach – sauber, nachhaltig und günstig. Im Contracting profitieren die Standortpartner von günstigem Sonnenstrom ohne Investition, Wartungs- und Betriebsaufwand. Dieses Erfolgsmodell setzt WIR Energie mit mittlerweile 4 Partnern österreichweit um, noch 2020 soll das 100. Kraftwerk in Betrieb gehen.

Besondere Bedeutung hat für uns das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG), das 2021 in Kraft treten und lokale Energiegemeinschaften ermöglichen soll. Mit diesem Anwendungsfeld wird es potentiell möglich sein, dass jeder Haushalt in Österreich günstigen Sonnenstrom aus einer unserer Energiegemeinschaften in seiner Nähe beziehen kann.

Es gibt ein Beteiligungs- und ein Franchise-Modell – wie funktionieren diese, und für wen sind sie gedacht?

Das Beteiligungsmodell richtet sich an alle, der nachhaltig investieren wollen und dabei nicht auf undurchsichtige Finanzprodukte angewiesen sein wollen. Mit 3,2% KESt-freier Rendite im bewährten Sale-and-Lease-Back-Modell sind WIR Energie Sonnenkraftwerke aufgrund der hohen Nachfrage innerhalb von Minuten finanziert. Diese „Crowd-Investing“-Plattform sowie eine komplette Projektmanagement-Software für Sonnenkraftwerke und ein kompetentes Netzwerk an Planern und Errichtern stellen wir mit Franchise-Umsetzungspartnern zur Verfügung.

Das Franchise-Modell richtet sich an Elektrotechniker und Ingenieurbüros, die Photovoltaik-Contracting und Energiegemeinschaften aus einer Hand anbieten wollen, genauso wie an Gemeinden und Regionalverbände, die selbständig mehrere Bürgerkraftwerke umsetzen möchten.

Bürgerkraftwerk in Velden. © WIR Energie
Bürgerkraftwerk in Velden. © WIR Energie

Unternehmen oder Privathaushalte – wo liegt das größere Potenzial beim PV-Ausbau?

Weder das eine noch das andere kann die Energiewende alleine bewerkstelligen. Im betrieblichen Umfeld stehen größere Flächen zur Energieerzeugung zur Verfügung, Privathaushalte steuern hingegen über eine große Anzahl von Kleinanlagen einiges bei, zumal der Großteil der erzeugten Energie vor Ort verbraucht werden kann.

Großes Potenzial, das bis jetzt noch nicht ausgeschöpft wird, sehe ich im Mehrparteienwohnbau. Hier gibt es noch viele Dachflächen, die genutzt werden können, sofern die Rahmenbedingungen für die Errichtung der Anlage (aktuell einstimmiger Eigentümerbeschluss) und Verteilung der Energie angepasst werden.

Das größte Potenzial liegt jedoch in der Freifläche, wo die ersten Megawatt-Solarparks umgesetzt werden. Um hier nicht in Konkurrenz zur Agrarwirtschaft zu treten, gibt es bereits Photovoltaik-Lösungen, die das Bewirtschaften der Flächen zwischen den Modulreihen ermöglichen (z.B. solarzaun.at).

Photovoltaik wächst in Österreich seit Jahren wieder, dennoch liegt der Rekord nach installierter PV-Leistung im Jahr 2013 weit zurück. Warum ist das so?

Der Rekord ist auf die Investitions- und Tarifförderung von Freiflächenanlagen 2012/2013 zurückzuführen, die im darauffolgenden Jahr abgeschafft wurde (mehr Details dazu hier, Anm.). Generell richtet sich der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen nach wie vor nach verfügbaren Förderungen, obwohl Photovoltaik aufgrund stark gesunkener Systempreise schon längst auch ohne Förderung wirtschaftlich ist.

Bundesweit verschiedene Regularien bezüglich Netzzutritt und Bauordnung beschleunigen auch nicht unbedingt den Ausbau. Für 2020 werden wir jedenfalls eine Ausbauleistung sehen, die jene von 2013 möglicherweise übertrifft.

Österreichs Regierung strebt eine Million Solardächer bis 2030 an. Ist das ein realistisches Ziel?

Es ist ein populistisches Ziel, das aber auf jeden Fall die Anzahl der notwendigen Flächen für das Ausbauziel von 15 GWp Photovoltaik bis 2030 unterstreicht. Ob innerhalb von 10 Jahren die bis Anfang 2020 installierte Gesamtleistung fast verzehnfacht werden kann, hängt von den gesetzlichen Rahmenbedingungen und zukünftigen Marktbedingungen ab. An der Finanzierung und der Technologie scheitert das Vorhaben sicher nicht.

Das Klimaschutzministerium will den Entwurf zum Erneuerbaren Ausbau Gesetz (EAG) bald vorstellen. Was kann das für Solarstrom bedeuten?

Für Strom aus Photovoltaik kann das EAG bedeuten, dass noch mehr Menschen an der Energiewende direkt teilhaben können. Das Potenzial zur Nutzung von Sonnenstrom vor Ort kann mit den im EAG verankerten Energiegemeinschaften bestmöglich ausgenützt werden. Dadurch wird Photovoltaik-Strom dort nutzbar, wo er bisher mangels Abnahmemöglichkeit nicht realisierbar war. Außerdem soll auch die Nutzung von Freiflächen zur Solarstromerzeugung besser geregelt werden. Das EAG kann die Grundlage dafür schaffen, Photovoltaik endgültig zur nächstgelegenen Energiequelle für alle zu machen.

Welche Erwartungen hast du an das EAG?

Das EAG muss gewährleisten, dass die Rahmenbedingungen für die Errichtung von Energiegemeinschaften so gestaltet sind, dass deren Umsetzung nicht den großen Playern vorbehalten bleibt. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Transaktionskosten zwischen Erzeugung und Verbrauch möglichst gering sind, etwa durch lokale Begünstigung in Form von entfallenden Abgaben und niedrigeren Netztarifen sowie durch die Nutzung umfangreicher Digitalisierungspotenziale.

Am Markt muss man zwischen Erneuerbaren Energiegemeinschaften und Bürgerenergiegemeinschaften unterscheiden. Wo liegt der Unterschied?

Erneuerbare Energiegemeinschaften sind lokale Erzeugungsgemeinschaften, die erneuerbare Energie dort erzeugen, wo sie verbraucht werden soll. Sie sind räumlich und auf erneuerbare Energie beschränkt, profitieren jedoch von niedrigen Ortsnetztarifen und entfallenden Abgaben. Sie bilden den Archetyp der Energiegemeinschaft: Gemeinsam vor Ort Energie erzeugen und verbrauchen, um Netze und Brieftasche zu entlasten.

Die Bürgerenergiegemeinschaften hingegen handeln als Aggregatoren von Kraftwerken und Verbrauchern. Die Teilnahme ist in ganz Österreich möglich und die Energieform ist nicht auf Erneuerbare beschränkt. Sie stellen praktisch den „Energieversorger in Bürgerhand“ dar. Niedrige Ortsnetztarife und entfallende Abgaben soll es hier nicht geben.

Matthias Nadrag, Geschäftsführer von WIR Energie. © WIR Energie
Matthias Nadrag, Geschäftsführer von WIR Energie. © WIR Energie

Photovoltaik kann selbst zum Umweltproblem werden, wenn nach 20, 25 Jahren Betrieb die Anlagen entsorgt bzw. recycelt werden müssen. Wie kann man diese „tickende Zeitbombe“ entschärfen?

Die aktuelle Leistungsgarantie europäischer Hersteller wird durchgängig mit 25 Jahren angegeben, das heißt nach 25 Jahren wird eine Leistung von mindestens 80% der Nennleistung garantiert. Damit ist das Modul noch weit weg von einer eventuellen Entsorgung. Meiner Ansicht nach wird es für „ausgediente“ Module ein Second Life in vermeintlich unwirtschaftlichen Projekten geben.

„Tickende Zeitbombe“: Solaranlagen können zum Müllproblem werden

Sollte es schlussendlich zur Verwertung kommen, liegt der Recyclinggrad aufgrund des hohen Anteils wiederverwertbarer Stoffe wie Glas und Aluminium bei über 80%. Für das Recycling von PV-Modulen gibt es aktuell nur eine Handvoll Anbieter. Mit steigender Nachfrage wird sich auch hier ein ganzer Wirtschaftszweig entwickeln.

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