Interview

Oesterreichs-Energie-Präsident: Energiewende wird Landschaftsbild verändern

Der Tauernwindpark in Österreich. © Thomas Galler on Unsplash
Der Tauernwindpark in Österreich. © Thomas Galler on Unsplash
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In zehn Jahren will Österreich 100 Prozent des Strombedarfs mit erneuerbarer Energie produzieren. Dazu sind zahlreiche neue Sonnenstrom- und Windkraft-Anlagen nötig, die auch das Landschaftsbild verändern werden. Was diese Energiewende bedeutet und vor welchen Herausforderungen wir bei dem Ausbau stehen, erzählt Michael Strugl – er ist designierter Chef des Stromkonzerns Verbund und Präsident von dem Branchenverband Österreichs Energie.

Bis 2030 will Österreich vollständig auf Ökostrom umsteigen. Dazu muss Solarenergie und Windkraft massiv ausgebaut werden und die Grundlage dafür bietet das Erneuerbaren Ausbau Gesetz, das derzeit in Begutachtung ist. Sind Sie mit dem Entwurf zufrieden?

Michael Strugl: Es sind sehr viele positive Ansätze in diesem Entwurf enthalten. Es gibt aber auch einige Punkte, mit denen wir nicht zufrieden sind. Gut ist jedenfalls, dass überhaupt einmal ein Entwurf am Tisch liegt, damit es ab 1. Jänner die Grundlage für den Ausbau und auch die Förderkulisse darstellen kann. Die Unternehmen brauchen diese Investitionssicherheit.

Was sind denn die positiven Aspekte in dem Entwurf?

Das Positive ist, dass wir konkrete, technologiespezifische Ausbaupfade haben: Für Wasserkraft, für Sonne, für Wind und für Biomasse gibt es ganz konkrete Ausbaupläne. Für alle Technologien gibt es Anreize, denn es muss bis 2030 27 Terawattstunden zusätzlich geben und das wird kein Sonntagsspaziergang.

Die Förderung wird von den Steuerzahlern bezahlt und ist mit einer Milliarde Euro pro Jahr gedeckelt. Stimmt es, dass dadurch die Ökostrom-Abgabe für die Haushalte erhöht wird?

Das ist nicht ganz auszuschließen. Wenn bis zu einer Fördermilliarde in den Markt kommen soll, wird es vermutlich zu einer Erhöhung kommen. Gerade wird aber noch darüber diskutiert, wie das möglicherweise auch pro Stromkunde gedeckelt werden könnte.

Dieses Interview gibt es auch als Podcast:

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Diese Milliarde wird nicht alle Kosten decken. Es gibt eine Studie aus Linz, die von bis zu 45 Milliarden Euro an Kosten für den Ausbau in den kommenden zehn Jahren spricht. Kann sich die Branche das leisten?

Natürlich werden die Unternehmen sehr viel Geld in die Hand nehmen. Wir haben das auch mit Oesterreichs Energie berechnet: Es werden 25 Milliarden Euro sein, die wir in zusätzliche Erzeugungsanlagen investieren werden. Weitere 18 Milliarden müssen in den Netzausbau fließen. Das sind 43 Milliarden Euro – das ist auch ein beträchtlicher konjunktureller Impuls. Die Unternehmen sind bereit, das zu investieren, weil es auch darum geht, dass wir den Weg zu den Erneuerbaren mitgestalten. Wichtig ist, dass wir die Sicherheit haben, dass sich diese Investitionen auch rechnen. Das muss im Erneuerbaren Ausbau Gesetz gewährleistet werden.

Mindestens genauso wichtig sind aber die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Verfahren, in denen wir diese Projekte umsetzen können. Wenn wir für Leitungsprojekte oder Projekte im Erzeugungsbereich keine Rechtssicherheit haben und nicht wissen, wie lange es dauert, bis wir die Genehmigung haben, ist das Ziel, den Ausbau bis 2030 zu schaffen aus meiner Sicht gefährdet.

Bevor wir über diese möglichen Ausbauhürden reden, noch ein ganz anderes Thema: Erneuerbare Energie wird nicht nur in großen Kraftwerken produziert, sondern auch auf kleineren Flächen und privaten Hausdächern. Was bedeutet diese kleinteiligere Produktion für die Netze bzw. die Stomunternehmen?

Das ist eine gewaltige Herausforderung. Es findet eine Dezentralisierung im Sektor statt, was die Erzeugung angeht. Es gibt immer mehr kleine, dezentrale Anlagen – ob das Photovoltaik, Biogasanlagen oder Windkraft betrifft. Wenn immer mehr dezentrale Kleinanlagen mit volatiler Produktion ans Netz gehen, wird es für die Stabilität der Netze und Systeme immer schwieriger. Wir brauchen einen zusätzlichen Ausbau der Netze, zusätzliche Speichermöglichkeiten.

Schaffen wir bis 2030 einen Ausgleich für die volatile Produktion – Wind weht nicht immer gleich stark, die Sonne scheint auch nicht immer?

Das ist eine tagtägliche Herausforderung. Wir müssen das in jeder Sekunde schaffen, nicht erst 2030. Es wird nur schwieriger. Derzeit haben wir fast 100 Prozent Versorgungssicherheit. Die ungeplanten Ausfälle betragen weniger als eine halbe Stunde über das ganze Jahr gerechnet. Auf der anderen Seite muss aber ungefähr 270 Mal im Jahr durch sogenannte Redispatch-Maßnahmen in die Systeme eingegriffen werden. Es ist also immer häufiger notwendig, auszugleichen, indem zum Beispiel zusätzliche Kapazitäten angefahren werden, um Schwankungen und Lastspitzen auszugleichen. Eine nahezu ausfallsichere Stromversorgung ist nicht selbstverständlich – das wissen wir aus anderen Ländern. Das gibt es nicht zum Nulltarif. Das bedeutet auch, dass wir Leitungsprojekte brauchen, die zum Teil auf Widerstand stoßen.

Auf welchen Widerstand?

Das kann man bei Projekten wie der Hochspannungsleitung in Salzburg sehen. Da gibt es Diskussionen mit Bürgerinitiativen. Das kann man aber auch bei Erzeugungsanlagen beobachten – etwa bei Windkraftanlagen. Ich prophezeie, dass es dieselbe Entwicklung bei Photovoltaik gibt, wenn größere Freiflächenanlagen entstehen. Da muss in der Bewusstseinsbildung noch einiges passieren. Wenn man 2030 Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen haben möchte, dann wird das auch das Landschaftsbild verändern. Wir werden Windräder, Stromleitungen und große Photovoltaikanlagen sehen. Es wird nicht funktionieren, zu sagen: Wasch mir den Pelz, aber bitte mach mich nicht nass.

Gerade über die Photovoltaikanlagen wird viel diskutiert – wie sehr werden die wirklich das Landschaftsbild verändern?

Bis 2030 müssen wir 11 Terawattstunden zusätzlich aus Photovoltaik erzeugen. Das ist eine gewaltige Menge. Wir von Oesterreichs Energie haben uns einmal angeschaut, wieviel wir davon auf bestehender Infrastruktur errichten können, also auf Dächern. Das Ergebnis der Studie ist, dass nur etwa die Hälfte dieser 11 Terawattstunden auf bestehenden Dächern erreicht werden kann. Der Rest wird auf anderen Flächen erzeugt werden. Diese großen Anlagen wird man dann auch sehen. Wenn Sie jetzt beispielsweise nach Bayern fahren, werden Sie entlang der Autobahn viele solche Anlagen sehen. Dort ist das schon Realität. Das wird bei uns noch kommen, es sei denn, man verabschiedet sich von diesen Ausbauzielen.

Wo diese Anlagen errichtet werden können, entscheidet sich in Landesgesetzen und nicht im EAG. In einigen Bundesländern regt sich da bereits Widerstand – zuletzt hat ein Entwurf für eine neue Raumordnung im Burgenland für Aufsehen gesorgt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe das befürchtet, dass diesen Nutzungskonflikt die Raumordnung zu regeln hat. Das ist das Wesen der Raumordnung, ich war selbst einmal dafür zuständig (in Oberösterreich, Anm.). Den Ansatz des Burgenlandes halte ich für sehr problematisch. Nicht nur, weil es damit unmöglich wird, die Flächen für die Erzeugung von Erneuerbaren zu nutzen. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch rechtlich problematisch ist.

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Wie entwickelt sich das in anderen Bundesländern? Wird womöglich ein Bundesland die Hauptlast des Ausbaus tragen müssen?

Das wäre nicht sinnvoll. Die Sonnenkraft muss dort genutzt werden, wo die beste Einstrahlung ist. Das ist vermutlich nicht nur in einem Bundesland der Fall. Es ist auch nicht gut, wenn es eine geografische Konzentration einer Erzeugungstechnologie gibt. Es gibt dann eine andere Belastung der Netze, wenn sich das nicht verteilt. Im EAG ist das berücksichtigt. Die Windkraft ist zum Beispiel nicht überall gleich stark und damit ist es auch nicht überall gleich wirtschaftlich, Windkraftanlagen zu errichten. Im Sinne der Netzdienlichkeit, wäre ein verteilter Ausbau trotzdem wünschenswert. Photovoltaik nur im Burgenland auszubauen, würde zu einer Schieflage führen.

Also braucht sich das Burgenland gar keine großen Sorgen zu machen?

Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum man zu diesem Ansatz gekommen ist. Ich glaube aber, dass er disfunktional ist, um es höflich zu sagen.

Zurück zu kleinen Anlagen: Das EAG ermöglicht auch kleinen Anbietern, sich zu Energiegemeinschaften zusammenzuschließen. Können Sie uns ganz kurz erklären, worum es sich dabei handelt und wie man mitmachen kann?

Der Gedanke der Erneuerbaren Energiegemeinschaften bedeutet, dass erneuerbarer Strom auf lokaler Ebene erzeugt und verbraucht wird – der Handel findet dabei auf untergeordneten Netzebenen statt. Das macht Bürger zu einem Teil der Transformation, beteiligt sie an der Energiewende. Wenn das auf den untergeordneten Netzebenen bleibt, dann entlastet das die übergeordneten Netzebenen bis hin zur Hochspannung. Die Engpässe, die auf der Netzebenen entstehen, können dadurch verringert werden. Bis hierher ist das sehr sinnvoll.

Der Gesetzesentwurf sieht aber vor, dass das nicht nur die Netzebenen 7 und 6 betrifft, also die lokale Ebene, sondern auch weitere Ebenen bis möglicherweise zur Netzebene 4. Das halten wir nicht für sinnvoll. Da könnten solche Gemeinschaften bis zu 11.000 Haushalte umfassen. Da wird es für die Systeme vielleicht problematisch. Diese Energiegemeinschaften brauchen deshalb auch Verantwortung für Ausgleichsenergie. Sie sollen sich netzdienlich verhalten und nicht auf Teufel komm raus Energie produzieren, wenn die Sonne gerade scheint ohne sich Gedanken zu machen, was mit dem Überschuss geschieht. Die Spielregeln müssen für alle gleich sein.

Ein weiterer Aspekt sind die Privilegien für diese Energiegemeinschaften. Sie bekommen einen günstigeren Netztarif und vergünstigte Anschlussgebühren für ihre Anlagen. Das ist ein Anreiz, man darf aber nicht vergessen, dass das jemand zahlen muss. Das werden alle Stromkunden sein, weil diese Kosten sozialisiert werden. Wir sind für diese Energiegemeinschaften, aber sie sollten auf die lokale Ebene beschränkt sein.

Können Sie sich vorstellen, mit ihrer PV-Anlage Teil einer Energiegemeinschaft zu werden? Wie würde das funktionieren?

Natürlich kann ich mir das auch vorstellen. Wie das in der Praxis funktionieren würde, wird man dann sehen. Ich glaube, dass man sich da heute einiges einfacher vorstellt, als es wirklich sein wird. Es gibt auch in Wien schon Versuche, aber wir betreten im Grunde genommen Neuland.

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Bisher importiert Österreich noch viel Strom. Wenn wir erneuerbare Energien massiv ausbauen, sind wir dann wirklich Eigenversorger?

Wenn wir wirklich diese 27 Terawattstunden zusätzlich erzeugen, gehe ich davon aus, dass wir vom Stromimporteur zu einem Land werden, dass mehr Energie erzeugt als verbraucht. Das hängt aber auch davon ab, wie sich der Stromverbrauch entwickelt. Strom spielt eine Schlüsselrolle auch in anderen Sektoren: Strom dringt vor in die Mobilität, in die Wärme. Strom wird auch eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung der Industrie spielen. 27 Terawattstunden sind aber eine gewaltige Menge, es wird sich also ein Überschuss ausgehen.

Mit Autarkie hat das aber wenig zu tun, denn das europäische Stromnetz ist verbunden und so wird auch Strom ins Land kommen und wieder weiterfließen. Wichtig ist, dass das ganze Netz stabil bleibt. Dazu brauchen wir mehr Speichermöglichkeiten und Reservekapazitäten. Die Leitungen werden die große Herausforderung der Energiewende.

Sie waren bis 2018 in der oberösterreichischen Landespolitik, zuletzt als stellvertretender Landeshauptmann. Was hat sie in die Energiebranche geführt?

Das hat schon sehr früh begonnen, denn mein Vater hat immer auf Kraftwerksbaustellen gearbeitet. Dadurch hab ich das schon sehr früh kennengelernt. Ich habe schon als Schüler auf diesen Wasserkraftwerksbaustellen mitgearbeitet. Auch während des Studiums hatte ich viele Freunde, die in der Energiewirtschaft groß geworden sind. In der Landesregierung war ich dann für Energiepolitik zuständig. Nachdem ich immer gewusst habe, dass ich nicht mein ganzes Leben in der Politik verbringen werde, war es sehr logisch für mich, dass es die Energiewirtschaft wird.

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