Reactions

EU-Lieferkettengesetz zwischen „Illusion“ und „Katastrophe“

Container-Frachtschiff. © Venti Views on Unsplash
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„Zahnloser Tiger“, „ambitionierte Zielsetzung“, „Katastrophe für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen“: Die Bandbreite der Reaktionen auf das EU-Lieferkettengesetz ist ziemlich breit. Während die einen die Notwendigkeit einer solchen Regelung begrüßen, warnen die anderen davor, dass gerade für kleine Unternehmen die Einhaltung der neuen Regeln zu viel sind.

Hier die Reactions im Überblick:

Rainer Will, Handelsverband

„Der Handelsverband unterstützt die grundsätzliche Intention des heute vorgeschlagenen EU-Lieferkettengesetzes zur Stärkung der Menschenrechte sowie zur Bekämpfung der globalen Erwärmung aus voller Überzeugung. Der europäischen Wirtschaft allein kann aber nicht die volle Verantwortung für die Durchsetzung der Menschenrechte oder ökologischer Mindeststandards in Drittstaaten übertragen werden. Es wäre entscheidend, dass die jeweiligen Produktionsländer vor Ort ihre Verantwortung auch wahrnehmen und die geltenden Standards sicherstellen.“

Georg Scattolin, Leiter des internationalen Programms beim WWF Österreich

„Der Entwurf der Europäischen Kommission muss deutlich verbessert werden. Nur mit einem wirksamen Gesetz wird es gelingen, den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette zu gewährleisten. Neben der Politik muss hier auch die Wirtschaft deutlich mehr Verantwortung übernehmenDas kommende Gesetz müsse daher alle relevanten Unternehmen und Sektoren erfassen anstatt etliche Hochrisiko-Bereiche außen vor zu lassen. Derzeit gibt es noch zu viele Ausnahmen und Lücken im Entwurf. Aktuell würde das Lieferkettengesetz zum Beispiel nur weniger als ein Prozent aller europäischen Unternehmen erfassen.“

Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der WKÖ

„Dass der einzelne Händler in Österreich immer nachvollziehen können soll, unter welchen Bedingungen jeder Rohstoff gewonnen und jedes Vorprodukt hergestellt worden ist, das dann nach vielen Zwischenstationen irgendwann bei ihm selbst landet, ist in der Praxis eine Illusion. Und selbst wenn es in Ausnahmefällen gelingt, hätte der österreichische Händler kaum Einfluss auf die Umwelt- oder Sozialstandards in anderen Teilen der Welt. Für deren Einhaltung zu sorgen, ist vielmehr die ureigenste Aufgabe des jeweiligen Staates und nicht Aufgabe der österreichischen Wirtschaft.“

Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV)

„Das von der Europäischen Kommission für morgen avisierte Lieferkettengesetz unterstützen wir in seiner ambitionierten Zielsetzung, Menschenrechtsverletzungen den Kampf anzusagen, aber für die betroffenen Unternehmen – vor allem für kleine und mittlere Betriebe – noch Probleme bei der konkreten Umsetzung. Pauschalregulierungen, die Groß- und Kleinunternehmen unterschiedlichster Sektoren gleichermaßen verpflichten oder Unternehmen unter Generalverdacht stellen, sind der falsche Weg.“

Angelika Winzig, ÖVP-Delegationsleiterin im Europaparlament

„Sorgfaltspflichten bei Lieferketten sind zweifelsohne ein wichtiges Thema, wo es klare Schritte von Seiten der Europäischen Union braucht. Ich begrüße daher, dass die Kommission hier tätig wird. Wichtig ist, dass wir mit Maß, Ziel und Hausverstand agieren und dem Prinzip der Proportionalität folgen. Es ist erfreulich, dass KMU grundsätzlich aus dem Kommissionsvorschlag ausgenommen werden sollen. Das erspart unseren Klein-und Mittelbetrieben einen neuen Bürokratierucksack. Ich werde mich im Parlament dafür einsetzen, dass es bei dieser Ausnahme bleibt.“

Astrid Rössler, Umweltsprecherin der Grünen

„Ich begrüße es sehr, dass die EU mit einem Lieferkettengesetz Konzerne endlich zur Verantwortung ziehen will. Viel zu oft bleiben die Umweltschäden, die Konzerne in ihren Produktionsketten verursachen, für die Unternehmen folgenlos. Ohne wirksame Gesetze und strenge Kontrollen, die für die gesamte Lieferkette gelten, können wir die Umwelt- und Klimakrise nicht bewältigen.“

Selma Yildirim, SPÖ-Justizsprecherin

„Der gesetzliche Rahmen fehlt sowohl auf EU-, als auch auf österreichischer Ebene immer noch. Freiwillig wird sich nichts ändern! Ich vermisse hier entschlossenes Handeln. Ich vermisse den Mut von den Grünen und der ÖVP, effektive Gesetze in die Wege zu leiten. Stattdessen werden unsere Anträge ausgesetzt und vertagt. Gewinnmaximierung und Profitgier werden auf dem Rücken der Schwachen und Schwächsten ausgetragen. Es darf nicht sein, dass Konzerne mit niedrigen sozialen Standards gegen Menschenrechte verstoßen und die Umwelt zerstören.“

Axel Kassegger, FPÖ-Nationalratsabgeordneter

„Die Konzerne werden von den Zulieferern dieselbe Compliance verlangen, die sie erfüllen müssen. Ein steirischer Tischlereibetrieb wird dann die volle Haftung dafür übernehmen müssen, dass er nicht irgendwo Hölzer aus den oft weitverzweigten Lieferketten verarbeitet, die aus einem Risikogebiet kommen. Tut er das nicht, bekommt er den Auftrag nicht. Das ist eine Katastrophe für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen, die nicht nur das Rückgrat unserer Wirtschaft, sondern auch unserer Exportwirtschaft sind und in Zukunft massiven Benachteiligungen ausgesetzt werden. So etwas kann auch nur Utopisten einfallen, die am Schreibtisch die Welt retten wollen, aber keinen Bezug zur Realität und keine Ahnung von Wirkungszusammenhängen haben.“

Jürgen Czernohorszky, Klimastadtrat in Wien

„Das von der EU geplante strenge Lieferkettengesetz ist dringend notwendig und sehr zu begrüßen – darüber hinaus gilt es, sich mit vereinten Kräften für verbindliche Regeln weltweit einzusetzen. Denn Lieferketten sind global und so gestaltet, dass Güter dort produziert werden, wo Löhne und Rohstoffe billig und Umweltauflagen niedrig sind – Leidtragende dabei sind aber viel zu oft die Menschen vor Ort und die Umwelt.“

Veronika Bohrn Mena, Sprecherin der Bürgerinitiative für ein Lieferkettengesetz

„Die nächsten Monate werden darüber entscheiden, ob der nun vorliegende ambitionierte Entwurf der EU-Kommission zum zahnlosen Tiger verkommt, oder ob daraus tatsächlich ein großer Wurf wird, der uns künftig den Konsum von Gütern ohne Scham und Wut ermöglicht. Es darf nicht länger die entscheidende Frage sein, ob irgendwer bereit ist für etwas zu bezahlen, sondern ob es im Einklang mit den Menschenrechten und Umweltstandards produziert wurde. Nur was diesen Mindestbedingungen entspricht, sollte auch im Regal liegen dürfen.“

Stefan Grasgruber-Kerl, Südwind-Lieferketten-Experte

„Nach dem aktuellen Entwurf wären nur die größten Konzerne in der EU betroffen. Das sind nur ca. 0,2% der EU-Unternehmen. Die für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen so wichtige zivilrechtliche Haftung ist zwar enthalten, bietet aber noch zu viele Schlupflöcher. Wir machen jetzt Druck auf die österreichische Regierung, EU-Kommission und EU-Parlament für Nachschärfungen. Das EU-Lieferkettengesetz muss die Augen weit aufmachen und auch die restlichen 99% der Unternehmen in der EU in die Pflicht nehmen und die Schlupflöcher bei der Haftung schließen, sonst wird es ein zahnloser Papier-Tiger, wenn es erwachsen ist.“

 

Anmerkung Redaktion: Update Statement Handelsverband 23.02.2022/ 16.30 Uhr 

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