Interview

„Das österreichische Mindset ist leider von viel Pessimismus gezeichnet“

Staatssekretär für Digitalisierung Florian Tursky (ÖVP). © BMF
Staatssekretär für Digitalisierung Florian Tursky (ÖVP). © BMF
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Tel Aviv. Eine Wirtschaftsdelegation rund um Digitalisierungs-Staatssekretär Florian Tursky und WKO-Präsident Harald Mahrer (ÖVP) taucht in die „Startup-Nation“ Israel ein – und lernt nicht nur eine ganze Reihe aufstrebender ClimateTech-Startups kennen, sondern auch gleich die weltberühmte Startup-Mentalität des kleinen Landes im Nahen Osten (Trending Topics berichtete). Da stellt sich nicht nur die Frage, was Österreich aus der Digital-Stärke des hochgerüsteten Landes lernen kann, sondern umgekehrt auch: Was kann Israel von Österreichs E-Government abschauen?

Im Interview spricht Staatsekretär Florian Tursky über die Herausforderungen bei Cyber Defense, über den Status quo bei der Mitarbeiter:innenbeteiligung, über staatliche Cyber-Attacken auf Österreich und den Vorsprung, den Österreich im E-Government gegenüber der „Startup Nation“ hat.

Trending Topics: Mit welchen Zielen sind Sie nach Israel gekommen?

Florian Tursky: Man hört immer wahnsinnig viel über die Innovationskraft in diesem Land, über die berühmte Startup-Kultur, den Digitalisierungsbereich sowie auch die Stärke der Cyber Defense. Ein Grund, warum ich hier bin, ist um zu sehen, warum das so gut funktioniert. Auf der anderen Seite ist es aber auch das Ziel, österreichische Unternehmer:innen mit diesem Ökosystem zu verbinden und die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen israelischen und österreichischen Unternehmen zu schaffen. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern haben über die letzten Jahre extrem viel Fahrt aufgenommen, sowohl politisch als auch wirtschaftlich.

Mein erster Eindruck war, wie viele Startups es in Israel gibt. Es sind über 7.000 Startups, das bedeutet, auf 1.400 Israelis kommt je ein Jungunternehmen. Ebenfalls auffällig ist die enorm hohe Techniker:innen-Quote. In Österreich sind etwa 60 Personen pro 10.000 Techniker:innen. In Israel sind es 140. Treiber des Ganzen ist die Situation, in der sich Israel historisch und auch heute noch befindet, sprich von Feinden umgeben. Israel weiß deshalb auch, dass nur durch die Kraft von Innovation und Digitalisierung die Souveränität und der Wohlstand behauptet werden können.

Das ist ein großer Unterschied zum österreichischen Mindset. Letzteres ist leider heute von viel Pessimismus gezeichnet. Was ich für meine politische Arbeit in Österreich mitnehme: Wir müssen den Menschen zeigen, dass Innovation und Digitalisierung auch für Österreich bedeutet, dass wir langfristig unseren Wohlstand absichern und ausbauen können.

Einiges davon können wir wahrscheinlich nachmachen, anderes nicht. Was können wir uns hier wirklich abschauen, was hätte auch realistische Umsetzungschancen?

Das Schwierigste ist wahrscheinlich wirklich das Mindset. Einerseits betrifft das die Einstellung zum Scheitern. In Israel gehen die Menschen sehr offen damit um. In Österreich dagegen ist Scheitern etwas Negatives. Eine weitere Herausforderung für Österreich sind Unternehmen, die viel Risikokapital brauchen, auch was die Regulierung betrifft. Wir dürfen nicht nur zu Innovationen motivieren, sondern müssen auch die Grundlage für die Weiterentwicklung schaffen. Wir versuchen derzeit, mit dem Reallabor-Rahmengesetz rechtlich die Möglichkeit zu schaffen, mehr Innovation im öffentlichen Raum ausprobieren zu können. Ebenso arbeiten wir weiter an neuen Möglichkeiten wie der Mitarbeiter:innenbeteiligung.

 Wie schaffen es die Israelis eigentlich? Es gibt zwar viele eigene VCs, aber auch viele, große US-Investoren, und europäische Corporates, die hier investieren.

Ein Ökosystem wie das von Israel zieht natürlich an. Wichtig sind Startup-Hubs, die eine Kombination aus Forschungseinrichtungen und einem Startup-Ökosystem sind. Wir kennen das zum Beispiel aus Berlin, wo man hier sehr erfolgreich ist. Wir versuchen, da in Österreich auch viel stärker zu werden, auch im Sinne der Spezialisierung auf einzelne Gebiete, zum Beispiel Life Sciences und Pharma. In Wahrheit gibt es zwei große Startup-Hubs auf der Welt: Tel Aviv und das Silicon Valley. Und natürlich orientiert sich das Venture Capital dorthin.

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Wie sieht es in Österreich eigentlich mit der eben angesprochenen Mitarbeiter:innenbeteiligung aus? Hier finden zwischen den Regierungsparteien schon länger Verhandlungen statt.

Ich bin sehr optimistisch, dass wir es auf jeden Fall in dieser Legislaturperiode hinbekommen.

Daneben gibt es auch noch die immer wiederkehrenden Forderungen, mehr Risikokapital in Bewegung setzen zu können. Es gibt nun verschiedene Vorschläge, wie man das verbessern kann. Kürzlich gab es auch in der Wirtschaftskammer Wien eine Situation, wo bis heute Luxemburg als Vorbild empfohlen wurde. Wie sehen Sie das? In welche Richtung kann es da gehen?

Das Interessante ist ja, dass wir gar nicht so weit weg sind, insbesondere, was das Governmental Spending betrifft. Man muss sich die verschiedenen Modelle einfach anschauen.

Ein riesiger Bereich in Israel ist immer noch Cybersecurity und das ist ja auch ein spannendes Thema für Sie. Was kann man an dieser Front mitnehmen? Ist das ein Land, wo auch die Republik Österreich Sicherheitslösungen einkaufen könnte oder das vielleicht sogar schon tun?

Hier muss zwischen Cybersecurity und Cyber Defence unterschieden werden. Cybersecurity ist in den letzten Jahren ein absolutes Breitenthema geworden. Mittlerweile sind ständig KMU von Cyberangriffen betroffen. Das hat mehrere Gründe: Während der Pandemie wurde einfach wahnsinnig viel zu Hause gearbeitet. Dadurch waren alle Türen und Tore für Attacken geöffnet. Dann hatten wir noch den Trend zu Kryptowährungen, die es sehr einfach machen, anzugreifen. Das hat viele Gründe und das wird ein immer größerer Bereich der Kriminalität. Der Bereich Cyber-Verbrechen steigt in jedem Kriminalitätsbericht an, sowohl gegen Privatpersonen, aber auch bei Unternehmen. Unsere Lösung ist hier ganz klar Bildung. Wir müssen Menschen und Unternehmen gegen Cyber-Angriffe wappnen. Sie sind wie jede andere Straftat. Man soll darauf aufmerksam machen, zur Polizei gehen und das melden. Auch der Staat rüstet sich gegen Cybercrime durch entsprechende Innovationen. Dazu gehört auch, öffentliche Dienstleistungen so sicher wie möglich zu halten.

Cyber Defence dagegen ist der militärische Bereich. Wir müssen uns wahrscheinlich von der Idee des klassischen Krieges entfernen, denn das wird eine ganz große Bedrohung in Zukunft. Staaten greifen jetzt schon andere Staaten an, nicht nur mit Waffen, sondern auch im Cyber-Bereich. Auf das müssen wir vorbereitet sein. Und das ist auch sicher die militärisch größte Gefahr, mit der Österreich konfrontiert ist.

Wo kommt da die Gefahr in diesem Fall her? Kommt sie aus Russland, China, Nordkorea, also von den üblichen Verdächtigen?

Wir können bei den aktuellen Aktivitäten nur mutmaßen, dass sie aus diesem Bereich kommen. Leider ist hier die Nachvollziehbarkeit oft sehr schwierig.

Yoav Barlev von Startup Nation Central in Tel Aviv. © BMF
Yoav Barlev von Startup Nation Central in Tel Aviv. © BMF

Diese Angriffe laufen ja oft über Proxys. Hier werden Hacker-Armeen mit Attacken beauftragt. Wie gut ist Österreich in diesem Bereich geschützt?

Österreich ist in diesem Bereich verhältnismäßig gut geschützt. Wir sind derzeit aber auch Gott sei Dank nicht das Hauptziel.

Das Hauptziel von Cyberattacken scheint ja gerade Israel zu sein.

Aktuell ja, und auch die Ukraine. Deshalb sind wir auch mit diesen beiden Ländern sehr stark im Austausch, wenn es um Cybersecurity und Cyber Defence geht. Das ist auch extrem wichtig, alle großen Cybersecurity-Zentren leben vom internationalen Austausch.

Was wäre in Österreich die empfindliche Stelle? Sind das am Ende auch die Energienetze?

Die Energienetze sind ein Teil der kritischen Infrastruktur, die Cyberattacken potenziell ansteuern würden. Aber wir sind hier auch sehr gut aufgestellt.

Laut israelischen Expert:innen sind für  IT und Cybersecurity künftig wahrscheinlich zehn Prozent des Budgets von Firmen erforderlich. Sind solche enormen Summen realistisch?

Ja, sind sie. Es wird auch zukünftig nicht mehr möglich sein, sich gegen Cyber-Angriffe zu versichern, wie das in der Vergangenheit der Fall war.

Was bedeutet das dann?

Es bedeutet, dass Firmen massiv aufrüsten müssen im Bereich der Cybersecurity und entsprechend auch Geld dafür ausgeben müssen.

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Wir haben bei dieser Reise auch die relativ neu eingerichtete Digital Agency Israels besucht. Was war hier Ihr Eindruck? Wo stehen die im Vergleich zu uns?

Mir ist Folgendes aufgefallen: Bei der Anzahl der Startups ist Israel weit voraus. Beim Thema E-Government ist das jedoch überhaupt nicht der Fall. Die Schere zwischen dem privaten Sektor und dem Regierungsbereich geht extrem weit auseinander. Was die Zusammenführung von Registern oder digitale Identitäten oder E-Wallet betrifft, kann Israel auch von uns lernen. Nur im Digital Health-Sektor scheint Israel die Nase vorn zu haben. Es gibt hier eine wirklich durchgängige digitale Gesundheitsakte durch alle Institutionen. Hier können wir uns wieder etwas abschauen.

Ein plakatives Beispiel wäre hier wohl, dass man in Österreich den Führerschein mittlerweile digital mitführen kann und in Israel nicht.

Ganz genau. Auch in unserem Finanzwesen gibt es das Beispiel, dass in Österreich bereits die automatisierte Arbeitnehmerveranlagung möglich ist. Sind Dinge, wo Sie noch etwas neidvoll auf Österreich schauen.

Soll heißen, vielleicht kommt bald die israelische Delegation und schaut sich bei uns die E-Government an?

Das ist durchaus vorstellbar. Wir haben ja heute auch gehört, dass die Bürgerkarte, die bei uns die erste digitale Identität war, in Israel als Vorbild diente.

Yoav Barlev von Startup Nation Central in Tel Aviv. © BMF
Yoav Barlev von Startup Nation Central in Tel Aviv. © BMF
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