Geoengineering-Projekt

Thwaites-Gletscher: Wie ein Meeresvorhang dem „Weltuntergangsgletscher“ helfen soll

Das Abschmelzen des Thwaites-Gletschers könnte eine Kettenreaktion auslösen. © James Balog / Cavan
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Bereits im Dezember vergangenen Jahres war die schlechte Nachricht im Umlauf: eine vorgelagerte Eiszunge des Thwaites-Gletscher, welche diesen in der Antarktis im Moment noch an seinem Platz hält, könnte in den kommenden Jahren zersplittern. Der Thwaites-Gletscher ist, laut dem amerikanischen und britischen Forschungsprojekt International Thwaites Glacier Collaboration (ITGC), etwa so groß wie der Staat Florida und trägt denn unheilvollen Spitznamen: “Weltuntergangsgletscher”. Das nicht ohne Grund.

Bereits jetzt verliert der Gletscher jährlich 50 Milliarden Tonnen Eis und ist für vier Prozent des Meeresspiegelanstiegs verantwortlich. Die  Geschwindigkeit dieses Abflusses hat sich in den letzten 30 Jahren dabei verdoppelt, so die Forschenden. Von einer Trendumkehr ist nicht auszugehen. Bei der Jahrestagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union in New Orleans Mitte Dezember 2021 haben Glaziolog:innen ihre neuesten Erkenntnisse über dessen Zustand veröffentlicht. Die beobachteten Risse im Schelfeis, welches den Großteil des Gletschers stützt. Ausgelöst durch warme Unterwasserströmungen, welche das Schilfeis zum Schmelzen bringen. Diese Risse in der bisher bremsenden Eiszunge können dazu führen, dass es bereits in dem nächsten Jahrzehnt zu einem Kollaps des Eises kommt, so die Forschenden. 

Dadurch wäre der bremsende Keil verschwunden und der restliche Gletscher würde Stück für Stück nach rutschen. Das könnte zu einem Anstieg des Meeresspiegel um etwa ein Prozent führen. Bis ca. 2100 würde das einen Anstieg von 65 Zentimetern bedeuten, so die ITGC. Im schlimmsten Fall könnte dies eine Kettenreaktion auslösen, die immer mehr Eisberge der Westantarktis zum Schmelzen bringt. In beiden Fällen würde der Meeresspiegel deutlich steigen. Das hätte weitreichende Folgen für die Küstenstädte weltweit. 

 

 

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Gletscher-Geoengineering als Rettung vor den Thwaites-Gletscher?

Daher wird nun händeringend nach Lösungen gesucht, den Schmelzvorgang zu verlangsamen. Grundsätzlich liegen die natürlich auf der Hand. Die Mengen der emittierten Treibhausgasemissionen müssen global signifikant sinken. Auch wenn darüber grundsätzlich ein Konsens besteht, werden Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels nur schleppend umgesetzt. Die aktuellen Prognosen den Gletscher betreffend, zu schleppend. Daher wenden einige Forschende ihre Aufmerksamkeit anderen Wegen zu. Einen davon, welcher nicht unumstritten ist, stellte das Arktischen Zentrum der Universität von Lappland in Finnland bereits 2018 vor.

In der Zeitschrift „The Cryosphere“ veröffentlichten Forschende des Zentrums eine Studie, die Gletscher-Geoengineering-Projekte vorschlägt, um das Abschmelzen der Gletscher zu verlangsamen. In einer dazu erschienen Pressemeldung erklären die beiden Studienleiter, John Moore und Michael Wolovick ihre Idee: Indem die Beschaffenheit des Meeresbodens in der Nähe von abschmelzenden Gletschern verändert wird, soll deren weiteres Abschmelzen verhindert werden.“Wenn man Geoengineering betreibt, muss man oft das Undenkbare in Betracht ziehen“, so Moore, Wissenschaftler an der Beijing Normal University in China und Professor für Klimawandel an der Universität von Lappland in Finnland.

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Idee 2018: Unterseeische Säulen oder Mauern

Undenkbar klingen die 2018 vorgestellten zwei Konzepte für die Umsetzung des Gletscher-Geoengineering tatsächlich. Zum einen untersuchten die Teams, ob eine Mauer unter Wasser errichtet werden könnte, um zu verhindern, dass warmes Wasser die Basis des Schelfeises erreicht. Zum anderen erdachten die Forschenden etwa 300 Meter hohe unterseeische künstliche Hügel oder Säulen, welche den Gletscher stützen und zurückhalten, um ihm so beim Nachwachsen zu helfen. „In beiden Fällen haben wir uns sehr einfache Strukturen vorgestellt, einfache Sand- oder Kieshaufen auf dem Meeresboden“, so der Forschende Wolovick in der Meldung von 2018. Trotzdem müsse der Untergrund entsprechend ausgebaggert werden. Keine leichte Aufgabe in dem rauen Gebiet. 

Idee 2021: Unterseeischer Vorhang

Im Jahr 2022 wird keine der beiden etwaigen Lösungen mehr anvisiert. Die Umsetzung der Unterwasser-Wand wurde bereits im Mai 2020 öffentlich von Moore und Wolovick selbst in einer aktuelleren Veröffentlichung als zu teuer und zu schwierig eingeschätzt. Aufgeben wollen die beiden Forschenden aber nicht. Daher präsentierten sie sogleich eine neue Idee, welche sie in Zusammenarbeit mit Forschenden der University of British Columbia erarbeitet haben. 

Ihr neuer Vorschlag ist die Verankerung von dünnen, flexiblen, schwimmfähigen Vorhängen am Meeresboden. So soll das warme Wasser am Gletscher vorbei gelenkt werden, sodass dieser wieder beginnen kann, sich zu verdicken und sich mit der Unterwasserformation zu verbinden. Das sei nicht nur billiger, sondern, da der Vorhang flexibel sei, sei er laut den Forschenden auch robuster gegen Eisbergkollisionen und könnte bei unerwünschten Auswirkungen auf die Natur leichter wieder entfernt werden.

Um die Praxisfähigkeit der Vorhänge zu ergründen, haben die Forschenden deren Einsatz um drei Gletscher in Grönland sowie um den Thwaites- und den nahegelegenen Pine-Island-Gletscher in der Antarktis am Computer modelliert. Dabei haben sie die Kosten und optimalsten Platzierungen in den wichtigsten Warmwasser-Strömungen im Vergleich zu der Errichtung eines breiteren Vorhangs weiter draußen in der Bucht untersucht.

Eine tatsächliche Umsetzung in die Praxis, stände aber weiterhin vor weiteren Herausforderungen. Wie auch Heise online berichtet, bestehen bei einem Einwirken in die Antarktis auch rechtliche Hindernisse, nachdem das Gebiet im Rahmen des Antarktis-Vertragssystems von verschiedenen Nationen gemeinsam verwaltet wird. Außerdem schränke das Madrider Protokoll bestimmte Aktivitäten in dem Gebiet ein, welche deutliche nachhaltige Auswirkungen auf das Ökosystem haben könnten. Darauf verweisen die Rechtswissenschaftler:innen an der University of California, Los Angeles, School of Law, Charles Corbett und Edward Parson, in einem  in Kürze erscheinenden Paper. Diese verweisen zwar darauf, dass diese Herausforderungen nicht unlösbar sind und die Regelungen Reformbedarf hätten, es aber trotzdem den Willen der Staaten bräuchte.

Trotzdem hoffen die Forschenden bereits in Zukunft kleine Tests zur ihrem Meeresvorhang in Grönland oder Alaska durchzuführen. Dafür sind Gespräche mit der grönländischen Politik geplant.

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Reflektion von Eisoberflächen erhöhen

Die beiden Forschenden sind dabei mit ihren Teams natürlich nicht die einzigen, welche das Potenzial von geotechnischen Ansätzen zum Abschwächen bzw. Verlangsamung des Meeresspiegelsanstieges untersuchen. Immerhin bedeutet ein signifikanter Anstieg des Meeresspiegels große Gefahren für alle Küstenstädte weltweit, was somit mit kostenintensiven Schutz- bzw. Evakuierungsmaßnahmen verbunden ist.  

Im Dezember 2020 veröffentlichte beispielsweise ein internationalen Forschungsteam eine Studie, in welcher andere Ansätze des Geoengineering untersucht wurden. Zu den untersuchten Möglichkeiten gehören unter anderem das Zurückhalten von Schnee durch Zäune, das Abpumpen von Wasser, umso den Boden unter den Gletschern zu trocknen und die Geschwindigkeit des Abrutschend „drastisch“ zu verringern oder  die Eisoberfläche aufzuhellen, um die Oberflächenschmelze zu verringern. 

Allerdings weisen die Forschenden der Studie von 2020 selber in einer Aussendung der beteiligten Bartlett School of Construction and Project Management draufhin, dass einige Techniken riskant sein könnten, weshalb sorgfältige Forschungen erforderlich seien. Im ungünstigsten Fall könnten Maßnahmen, welche das Eis schützen sollen, selber zu weiteren Abbrüchen des Schelfeises führen. Der Hauptautor der Studie, Andrew Lockley von der Bartlett School of Construction and Project Management dazu: „Unser Papier enthält eine Reihe von Vorschlägen zur Verlangsamung der Gletscher, um den Anstieg des Meeresspiegels zu verzögern oder zu verringern. Keiner dieser Ansätze ist sofort umsetzbar. Sie stellen jedoch potenziell vielversprechende Möglichkeiten für weitere Untersuchungen dar“.

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Zu wenig erforscht

Genau das ist im Endeffekt einer der größten Kritikpunkte an solchen Geoengineering-Maßnahmen. Bisher sind diese zumeist Ideen und benötigen weiterer Forschungen, um die tatsächlichen Auswirkungen auf die Ökosysteme zu verstehen. Das bedeutet Zeit, welche kaum gegeben ist. Darauf Ausruhen kann sich die Weltgemeinschaft daher nicht. Bereits 2018 verwiesen die Forschenden Moore und Wolovick darauf, dass die Verringerung der Emissionen nach wie vor der Schlüssel im Kampf gegen die Klimakrise und seiner dramatischen Auswirkungen sei. „Es gibt unehrliche Elemente in der Gesellschaft, die versuchen werden, unsere Forschung zu benutzen, um gegen die Notwendigkeit von Emissionsreduzierungen zu argumentieren. Unsere Forschung stützt diese Interpretation in keiner Weise“, so Moore und Wolovick. 

Diese Befürchtung der beiden Forschenden, ist auch eine der vielen Kritiken an dem ganzen Forschungsfeld des Geoengineering. Im Fall der abschmelzenden Gletscher würde Gletscher-Geoengineering beispielsweise nur den Anstieg des Meeresspiegels begrenzen. Die Gefahr bestehe jedoch, dass Menschen sich darauf ausruhen, während eine aktive Verringerung der Emissionen auch andere schädliche Folgen der Klimakrise wie die Versauerung der Ozeane, Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen begrenzen könnte.

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