Interview

Notarity: “Nehmen nicht an, dass FlexCo rasch eine große Rolle spielen wird“

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Das österreichische Startup notarity.com hat sich als führende europäische Internetplattform für Online-Notariatsdienste etabliert. Der Amtsweg zu Notar:innen wurde von notarity in eine zeitgemäße Online-Dienstleistung verwandelt. Jakob Schuster, CEO & Co-Founder, hat mit Trending Topics über die Gründungsgeschichte, rechtliche Rahmenbedingungen für die Arbeit im Ausland, Auswirkungen durch die FlexCo und die Zukunftspläne von notarity gesprochen.

TT: notarity gibt es seit 2021. Kannst du uns Details zur Gründungsgeschichte verraten?

Jakob Schuster: Ich habe damals als Rechtsreferendar in einer Rechtsanwaltskanzlei in Deutschland gearbeitet. Das ist ähnlich zu einem Konzipienten in Österreich. Im Rahmen dieser Tätigkeit, habe ich oft gesehen, dass die Erfüllung notarieller Formerfordernisse viel Zeit in Anspruch nehmen kann. Gerade wenn es um grenzüberschreitende Sachverhalte geht.

Wir wollten dann in der Kanzlei online eine GmbH in Österreich gründen. Das Fazit war, dass die Möglichkeit der Online-Gründung super ist, dass aber sowohl im Prozess als auch in der eingesetzten Software das Online-Notariat noch massiv ausbaufähig war.

Österreich ist da, was die Gesetzeslage betrifft, eigentlich wahnsinnig fortschrittlich. In der Pandemie hat Österreich 2020 eine Novelle der Notariatsordnung beschloss, mit der wir jetzt eines der ersten Länder weltweit sind, das notarielle elektronische Beglaubigungen gesetzlich nicht nur für eigene, sondern auch für ausländische Staatsbürger gesetzlich möglich gemacht hat.

Wir haben gesehen, dass darin eine einzigartige Chance liegt. Die Chance, einen funktionierenden digitalen Notariatsservice aufzubauen, den nicht nur Menschen und Unternehmen in Österreich nutzen können, sondern der auch über die Landesgrenzen hinaus Impact hat. Diese Chance haben wir genützt.

Danach ist alles sehr schnell gegangen. Wir haben uns für das „aws First“ Förderprogramm angemeldet, eine GmbH gegründet, auch andere Förderungen bekommen, die erste Finanzierungsrunde abgeschlossen. Ein paar Monate später dann die zweite Finanzierungsrunde. Mittlerweile sind wir ein tolles Team von 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und das derzeit am höchsten bewertete Legal Tech-Start-Up in Österreich.

So wie wir das verstanden haben, ist die Plattform mit keinem Notariat gleichzusetzen? Es soll kein Online-Notariat sein. Wie funktioniert Notarity dann aber genau?

Wir betreiben eine Webplattform für die Abwicklung von Beglaubigungen und anderen Notariatsakten. Wir sind also ein Softwareunternehmen. Als solches dürfen wir selbst keine notariellen Dienstleistungen anbieten. Das machen unsere Partner-Notariate, mit denen wir zusammenarbeiten. Wer auf unserer Website einen Termin bucht, wird innerhalb von wenigen Minuten mit einem Partner-Notariat verbunden, das dann rechtlich berät und das Formerfordernis abwickelt. Wir stellen im ganzen Prozess sicher, dass dieser Prozess 100% digital, schnell, zeitlich flexibel und preislich vollkommen transparent abläuft.

Vor drei Monaten war noch jedes sechste österreichische Notariat Partner auf unserer Plattform, jetzt ist es schon jedes vierte.

In Kooperation mit deutschen und österreichischen Notar:innen bietet ihr ab sofort auch in Deutschland die Abwicklung landesspezifischer Notariatsdienstleistungen online an. Wie funktioniert das rechtlich?

Wir bieten zunächst mal die Beglaubigung von Dokumenten zum Einsatz in Deutschland an. Ebenfalls vollkommen digital. Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sind aber eher innovationsfeindlich. Deshalb kann die Beglaubigung als solches nicht durch ein deutsches Notariat erfolgen. Das machen Notarinnen und Notare aus Österreich.

Zwischen Österreich und Deutschland gibt es ein bilaterales Abkommen zur Gegenseitigen Anerkennung von notariell beglaubigten Urkunden. Ein in Österreich notariell beglaubigtes Dokument kann damit in Deutschland ohne Apostille eingesetzt werden. Außerdem gibt es eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (in Deutschland), in der entschieden wurde, dass online Beglaubigungen aus Österreich zu deutschen Beglaubigungen gleichwertig sind.

Daneben haben wir aber jetzt auch ein Netzwerk an deutschen Notariaten, mit denen wir gemeinsam eine Reihe weiterer landesspezifischer Dienstleistungen anbieten können. Damit ermöglichen wir es Personen weltweit in Deutschland etwa Gesellschaften zu gründen und zum Handelsregister anzumelden, die Adressen ihrer deutschen Unternehmen zu ändern oder neue Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer zu bestellen, etc.

Nachdem es keinen vergleichbaren praxistauglichen Service für Deutschland gibt, erreichen wir damit eine riesige und sehr hungrige Zielgruppe. In den vergangenen Monaten haben wir bereits viel Erfahrung mit deutschen Handelsregistern sammeln können, die sehr positiv waren.

Wo auf der Welt können beglaubigte Dokumente von euch eingesetzt werden und wo nicht? Müssen es deutschsprachige Länder sein?

Grundsätzlich können die über notarity beglaubigten Dokumente weltweit eingesetzt werden. Im Bedarfsfall kümmern wir uns auch um eine Apostille, die notwendig ist, wenn es zwischen Österreich und dem Land, für das die Beglaubigung ausgestellt wird, keine andere Vereinbarung gibt. Auch die Sprache der Dokumente, um die es geht, ist ansich für die Beglaubigung gleichgültig. Wenn es Beglaubigungsklauseln in bestimmten Sprachen benötigt, können wir die mittlerweile gemeinsam mit unseren Partner-Notariaten in sehr vielen Sprachen zur Verfügung stellen.

In Deutschland haben wir nun, wie gesagt, auch landesspezifische Notariatsservices gestartet wie die Einreichung bei deutschen Handelsregistern. Dadurch erhöht sich der Nutzen für unsere Kund:innen in Deutschland noch einmal deutlich.

Seid ihr zB auch schon in der Schweiz aktiv? Wie läuft es da im Vergleich zu Österreich und Deutschland?
Ja, in der Schweiz sind Gesetze gerade im Fluss und definitiv deutlich liberaler als in Deutschland. Die Schweizer Notariat sehen unsere Plattform als extreme Chance. Wir sind mit einigen gerade in intensiven Gesprächen. Und wir sind kurz davor, die erste echte Online-Gründung einer Schweizer GmbH auf Schiene zu bringen.

Jetzt kommt bald die FlexCo, also die neue Rechtsform für Startups als Alternative zur GmbH. Viele Notariatsakte könnten wegfallen. Wie seht ihr das?

Die Vereinfachung der Verwaltung in Unternehmensangelegenheiten von der Gründung über Kapitalerhöhungen bis zu Akquisitionen ist uns ein großes Anliegen. Genau dafür sind wir angetreten. Österreich ist hier im Vergleich zu anderen Ländern in den vergangenen Jahren, wie gesagt schon weit gekommen. Welche neuen Formvorschriften auch immer im Detail mit der FlexCo verbunden sind, wichtig ist, dass sich all die Dinge einfach und flexibel in wenigen Minuten online erledigen lassen. Das ist unser Fokus. Das Start-Up-Paket der Bundesregierung und der Ausbau der ID-Austria schaffen dafür weitere wichtige Grundlagen.

Wir gehen nicht davon aus, dass sich die Einführung der FlexCo auf unser Geschäft negativ auswirken wird – eher im Gegenteil. Wir nehmen aber auch nicht an, dass die FlexCo als komplett neue Unternehmensrechtsform in Österreich in den kommenden Jahren rasch eine große Rolle spielen wird. Und wir finden, dass die Formvorschriften nicht das einzige wichtige Thema sind, was die FlexCo betrifft. Gerade das Thema der Mitarbeiter:innenbeteiligung halten wir für mindestens genauso relevant.

Warum glaubt ihr an keine negativen Auswirkungen, wenn es weniger Notariatsakte geben könnte?

Unsere Vision ist es, die Erfüllung von Formerfordernisse global digital & flexibel zu gestalten. Die Änderungen im Rahmen der FlexCo betreffen lediglich einen sehr geringen Anteil der Transaktionen, die über notarity abgewickelt werden. Bei der Gründung der FlexCo gibt es außerdem ein notarielles Formerfordernis – hierzu werden wir sicher ein Produkt anbieten. Als Technologiedienstleister können wir außerdem auch die sich ändernden Formerfordernisse im Rahmen der FlexCo im Sinne einer Digitalisierung und Flexibilisierung unterstützen.

Warum nehmt ihr an, dass die FlexCo  in den kommenden Jahren nicht so schnell eine große Rolle spielen wird?

Meine persönliche Meinung ist, dass es einige Jahre brauchen wird, bis sich auch eine Großzahl der Rechtsberater:innen auch ausreichend vertraut mit der FlexCo fühlt, dass zu einer Gründung der FlexCo in großem Umfang geraten wird. Vielmehr wird man hier in vielen Fällen in der Praxis auf gewohnte Muster aus der GmbH vertrauen.

Wie viele Kund:innen zählt ihr derzeit?

notarity hat aktuell etwa 8000 aktive Kund:innenn den ersten zwölf Monaten bis März dieses Jahres sind mehr als 10.000 Dokumente über uns beglaubigt worden, täglich kommen 150 bis 200 weitere hinzu. Jedes Monat steigen die über notarity vereinbarten Online-Termine derzeit um 20 Prozent.

Welche Personengruppe nimmt eure Dienste am häufigsten in Anspruch?

Aktuell werden wir in der überwiegenden Zahl der Fälle von Unternehmen – also von Geschäftskunden – genutzt. Primär in gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten. Unternehmensgründung, Übertragung von Unternehmensanteilen, Kapitalerhöhung, Liquidation, Änderungen im Firmenbuch etc.

An zweiter Stelle stehen derzeit Immobilienthemen, Immobilienkäufe, Grundbuchangelegenheiten.
Sonst im privaten Bereich gibt es noch eine ganze Reihe von Themen, wo man einen Notar braucht: Schenkungen, Vollmachten oder andere Unterschriftsbeglaubigungen. Das macht aber bei uns noch einen etwas kleineren Teil der Nutzung unserer Plattform aus.
Und dann gibt es noch eine ganze Reihe von Spezialthemen: z.B.: Alle Kinderwunschpaare, die nicht verheiratet oder verpartnert sind und die eine Behandlung mit Samen- oder Eizellspende benötigen, müssen bei einem Notar, einer Notarin einen Notariatsakt erstellen lassen. Das wickeln immer mehr Geburtskliniken mit uns jetzt online ab.

In Deutschland unterstützen wir und unsere Partner-Notar:innen vorwiegend unser User:innen bei allen Angelegenheiten, die zu Handelsregistern gehen. Also auch hier sind es in erster Linie Unternehmenskunden.

Wie geht es für notarity weiter? Wie sehen die nächsten Steps aus? Was ist der 5-Jahres-Plan?

Wir sind dazu angetreten, notarielle Formerfordernisse zu digitalisieren und zu beschleunigen. In fünf Jahren möchten wir das zumindest in ganz Europa machen.

 

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