Nunu Kaller Kolumne: Waschtag

H&M Nachhaltigkeitsreport 2021: Transparenz allein schützt nicht vor Greenwashing

Greenwashing © Pexels
Greenwashing © Pexels

Letztens ging ich mit einem Freund spazieren, mit Wein in den Thermosbechern, weil irgendwo muss ja der Spaß herkommen derzeit. Wir gingen die Mariahilferstraße runter, und ich stand sprachlos vor der Auslage von H&M. Ein großes Schild erklärte mir, H&M stehe für eine nachhaltigere Zukunft und Lieblingsteile, die lange Freude bereiten. Und daneben hing eine Weste aus Polyester und Polyacryl und einem Wollanteil von heißen vier Prozent um 19,99 Euro. Das pure Gegenteil von nachhaltig also. H&M wurde also meinem persönlichen Eindruck, der größte Greenwasher der Branche zu sein, mal wieder gerecht. 

H&M und das Stockholm-Syndrom

Ich habe ein etwas seltsames Hobby: Ich lese gerne Nachhaltigkeitsreports. Am allerliebsten, oh Überraschung, den von H&M. Seit Jahren denke ich mir jedes Mal, vielleicht ist meine anhaltende Kritik an dem Unternehmen ja nicht berechtigt, vielleicht haben sie sich wirklich verbessert – doch dann lese ich den Bericht, ärgere mich über diese viele heiße Luft und suche nach den inhaltlichen Stolpersteinen. Und im brandaktuellen, kurz vor Ostern erschienen Nachhaltigkeitsreport 2021 sind nicht nur kleine Stolpersteine, sondern ganze Felsbrocken, auf denen mit giftiger Farbe „Greenwashing!“ draufsteht. Beispiele gefällig? 

H&M erklärt, sie wollen bis 2040 „klimapositiv“ sein – weil klimaneutral ist schon ein so ausgelutschter Begriff, dass man das jetzt toppen muss. Aber die Sache hat einen Haken: Innerhalb ihres eigenen Einflussbereichs haben sie seit 2017 genau NULL PROZENT CO2 eingespart. Ja, ich hab auch geglaubt, ich seh nicht recht. Ich hab gemeinsam mit einer befreundeten Statistikerin echt nochmal herumgerechnet, weil ich dachte, das gibt’s doch nicht: Nicht Mal im vergangenen Pandemiejahr kam es zu Einsparungen – im Gegenteil, im vergangenen Jahr wurde 14% mehr CO2 ausgestoßen als 2017. Was sie nicht angeben, sind Relationen – wenn beispielsweise doppelt so viel produziert wurde wie 2017, wäre eine 14%ige Steigerung ja gar nicht so schlecht. Doch die einzige Antwort, die Report gibt, ist: Sie hatten 2020 einen Einbruch von 18% bei ihren Nettoverkäufen und einen noch viel höheren Gewinneinbruch. Weniger produziert, weniger verkauft, mehr Emissionen in die Atmosphäre geblasen. . . Hä?! 

Mir drängt sich da ein Gedanke auf, den ich zwar bisher noch nicht verifizeren konnte, aber für gar nicht so unwahrscheinlich halte: Kann es sein, dass H&M bisher beim Thema CO2-Reduktion auf Offsetting, also den Ankauf von Zertifikaten, gesetzt hat, anstatt auf die eigenen Lieferkette zu schauen, und konnte sich dieses Jahr die Zertifikate nicht leisten? Man weiß es nicht. Es riecht aber schon ein bissl streng nach Greenwashing. 

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Better Cotton Initiative und die Nachhaltigkeit

Im nächsten Beispiel kommen nur zwei Zahlen vor: 100 und 78,3. Seit Jahren erklärt H&M, bis 2020 nur noch „nachhaltigere“ Baumwolle anbieten zu wollen. Seit Jahren erklären kritische Organisationen, dass H&M da mit seinen Projekten auf dem Holzweg ist: Der schwedische Konzern ist Teil der Better Cotton Initiative. Diese industriegesteuerte Initiative ist in meinen Augen der Inbegriff von Greenwashing: Better Cotton heißt in diesem Fall weder bio noch gentechnikfrei oder frei von chemisch-synthetischen Pestiziden, sondern: Hey, den Bauern wird erklärt, was das da eigentlich für Zeichen auf den Flaschen mit der Flüssigkeit, die sie über die Baumwolle ausbringen, sind, und dass sie die Flaschen, wenn sie leer sind, bitte nicht zum Trinkwasserholen verwenden sollen. Quasi. Auch wenn sie selbst sicher das Gegenteil behaupten: viel mehr ist die BCI nicht. Von Nachhaltigkeit kann da wirklich weit und breit keine Rede sein. Im Gegenteil, in letzter Zeit gibt es immer häufiger kritische Stimmen, die die Abnahme des Anteils von Biobaumwolle am Weltmarkt von eh schon unfassbar läppischen 1,1 Prozent auf 0,7 Prozent mit der BCI in Verbindung bringen: Indem man auf diese für die Industrie einfach umsetzbare Projekt mit absoluten Mindeststandards setzt, das man als nachhaltig verkaufen kann, sorgt man dafür, dass die wirkliche Nachhaltigkeit leidet. 

Ich musste sehr lang blättern, bis ich zum ersten Mal las, wie groß der Anteil von Better Cotton Baumwolle im Gesamtmix von H&M ist: Heiße 78,3% (der Rest teilt sich auf in Bio- und recyclete Baumwolle). Knappe vier Fünftel ihrer „nachhaltigeren“ Baumwolle ist es also schlicht nicht. Und der Oberclou: Auf der Website ist inzwischen bei jedem Baumwollprodukt nur noch „100% Baumwolle“ angegeben, weil „is ja eh schon alles nachhaltiger“. Damit verstecken sie konventionelle Baumwolle sehr, sehr unverschämt vor ihren eigenen KonsumentInnen. 

Polyester, Mikroplastik und das Recycling

Mein Lieblingsthema ist das Thema Polyester. Auch da birgt der Report ein paar Schmankerl: Erstens scheint für H&M die Produktverantwortung in dem Moment, in dem es verkauft ist, zu enden, zweitens: Nicht ein einziger Satz lässt darauf schließen, dass sie irgendein Interesse daran hätten, den Polyesteranteil in ihre Produkten runterzukriegen. Nöööö, das wär ja schlecht fürs Geschäft! Dass Polyester Verursacher einer der größten unsichtbaren Umweltkatastrophen der Welt ist (bei jedem Waschgang von Polyesterkleidung waschen wir mikroskopisch kleine Plastikfasern ins Abwasser, von dem es ein beträchtlicher Teil durch die Kläranlagen bis in die Weltmeere schafft und dort nicht mehr rauszuholen ist. Ach, und der Rest wird per Klärschlamm auf unsere Felder verteilt. Mahlzeit!) – geschenkt. Nein, sie brüsten sich sogar damit, dass in den 2020er Conscious Collecions – die sie uns selbst seit Jahren als Leuchttürme der modischen Nachhaltigkeit verkaufen – zum ersten Mal nur noch recycletes Polyester drin ist. Boah. Toll. Nur so zum Mitschreiben: Es ist egal, ob recyclet oder nicht, Polyester ist IMMER ein Umweltproblem und sollte in keiner „nachhaltigen“ Kollektion drin sein. 

Überhaupt, recyceltes Polyester, das ist auch so eine Sache. Noch vor wenigen Jahren war es Usus, das, was bei der Polyesterproduktion quasi links und rechts von der Maschine fiel, nochmal einzuschmelzen und neu zu verspinnen. DAS wurde dann als recycletes Polyester verkauft – obwohl es die Produktionsstätte genau nie verlassen hatte. Inzwischen ist die Herkunft von recycletem Polyester etwas größer, aber nicht zwingend besser geworden: Macht man aus PET-Flaschen Polyester, sorgt man damit für eine Vergrößerung der Mikroplastikbelastung der Meere (besser wäre es, aus den PET-Flaschen wieder PET-Flaschen zu machen, wie es glücklicherweise ja schon mancherorts geschieht).  

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Viele Nullaussagen

Apropos Produktionsstätte: Genau da scheint der Nachhaltigkeitsgedanke zu Mikroplastik bei H&M zu enden. Sie kümmern sich zwar lobenswerterweise drum, dass bei der Produktion wenig Abrieb entsteht – aber der Großteil entsteht sowieso bei den EndkonsumentInnen. Verantwortung dafür übernimmt H&M genau gar nicht. 

Ein Beispiel hab ich noch, ohne noch überhaupt im Ansatz an den Sozialthemen angekommen zu sein: Wie schon seit Jahren, warum wunderts mich eigentlich noch, spielt H&M das lustige Spiel mit den Prozentzahlen, ohne absolute Zahlen anzugeben. Beim Leder wird erklärt, dass 44% ihrer Lederprodukte aus chromfrei gegerbtem Leder bestehen, im Vergleich zu 40% im Vorjahr. Das ist halt nur leider eine Nullaussage, solange wir nicht wissen, ob nicht eklatant mehr Lederprodukte hergestellt wurden. Diese Nullaussagen ziehen sich durch den ganzen Report, der mehr Fragen aufwirft, als er Antworten gibt. 

Es ist nicht so, dass H&M nichts tut, absolut nicht. Die machen verdammt viel, um zu verdecken, dass sie im Kern einfach immer noch zur zweitdreckigsten Industrie der Welt gehören. Ein Fast Fashion Konzern kann im Grunde gar nicht nachhaltig werden, da spricht das eigene Kerngeschäft dagegen. Aber so, wie sich der Report liest, hab ich den Eindruck: Die glauben das wirklich selbst, dass sie so nachhaltig sind – was dem Begriff „Stockholmsyndrom“ irgendwie einen neuen Beigeschmack gibt…

H&M setzt voll auf Transparenz, das wurde auch von Fashion Revolution gewürdigt. Doch was nutzt den EndkonsumentInnen die Information, wie die Fabrik heißt, in der ihre Hose genäht wurde, und wie viele Menschen dort arbeiten? Beides sagt nichts über die Zustände in der Fabrik aus. 

Hauptsache transparent

Und nach all den Umweltthemen (und ich hab nichtmal alle Stolperfelsen aufgelistet) jetzt zum Sozialthema: Im gesamten Report kommen die Worte „living wage“ (der Lohn, der im jeweiligen Land eine gute Existenzgrundlage darstellt, oft gut zwei Drittel über dem jeweils gesetzlichen Mindestlohn) nur in einem einzigen Zusammenhang vor: „Wir arbeiten gerade an unserer neuen Living Wage Strategie.“ Kein Wort davon, bis wann man alle in der Lieferkette fair bezahlen will. An dem Ziel hat man sich in der Vergangenheit nämlich ordentlich die Finger verbrannt. In einer wunderschön aufbereiteten Grafik lernen wir den Unterschied zwischen Mindestlohn und Durchschnittslohn, den H&M zahlt – ohne eine einzige Erwähnung, dass das in vielen Produktionsländern auch noch viel zu wenig ist. 

All das sind Punkte im Report, die man als informierte KonsumentIn vielleicht durchschaut, als unbedarfte und motivierte noch Unwissende aber definitiv als „boah, nachhaltig!“ interpretiert. 

Und das bringt mich zu dem Punkt im Report, der im Grunde wirklich das reinste Greenwashing ist: Im Report stehen folgende zwei Sätze wörtlich: „Giving customers more information about the impacts and journey of our products so they can make informed choices aligned with their values. Reinforcing this shift towards more sustainable behaviour by enabling, inspiring and rewarding sustainable actions.“ 

Sag, wollt ihr uns verarschen? „Hey, wir sind jetzt total transparent, damit ihr euch auskennt!“? Und gleichzeitig „nachhaltigere“ Baumwolle verkaufen, die weder Bio noch gentechnikfrei ist. Neben dem Begriff Langlebigkeit im Schaufenster reine Polyesterwesten anbieten, was von klimapositiv faseln und seit vier Jahren noch null Emissionen reduziert haben, und eine Conscious Collection präsentieren, die sogar der norwegische Verbraucherschutz als Greenwashing bezeichnet? Aber hey, super, dass wir Konsumentinnen so gut entscheiden können, weil ihr so transparent seid!

Lieber Textilschwede, fürs Stammbuch: 

Ihr bringt KonsumentInnen ein falsches Bild von Nachhaltigkeit bei, nur weil es euch mehr Umsatz und Marge bringt, und schadet damit echter nachhaltiger Entwicklung ganz dramatisch!

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