Interview

Share-Gründer: „Konsum, den es schon gibt, nachhaltig machen“

Sebastian Stricker hat Share gegründet © Share/Daniela Haupt
Sebastian Stricker hat Share gegründet © Share/Daniela Haupt
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„Share“ – viel mehr ist auf den Produkten des gleichnamigen Startups gar nicht zu lesen und der Name bringt es auch auf den Punkt: Wer diese Müsliriegel, Wasserflaschen, Klopapier oder Stifte kauft, teil in gewisser Weise mit bedürftigen Menschen. Die Produkte sind nicht teurer als Vergleichbares, lösen aber eine Sachspende aus, die über einen Code auf der Verpackung auch nachvollziehbar ist.

Gegründet wurde Share 2017 von dem gebürtigen Österreicher Sebastian Stricker gemeinsam mit Ben Unterkofler, Iris Braun und Tobias Reiner in Berlin. Seit 2019 sind die Share-Produkte auch in Österreich bei dm, Billa und Merkur erhältlich und es wurden insgesamt hunderttausende Mahlzeiten, Hygieneprodukte oder Trinkwasserbrunnen gespendet. Im Interview mit Tech & Nature erzählt Stricker, wie der Spagat zwischen preislicher Konkurrenzfähigkeit, Nachhaltigkeit und Impact gelingt.

Tech & Nature: Wenn ich einen Schokoriegel bei Share kaufe, was passiert dann?

Sebastian Stricker: Die Grundidee ist, ich kaufe mir ein Produkt bei Share und jemand, dem es nicht so gut geht, der bekommt ein äquivalentes Produkt. Für jeden Müsliriegel, den ich kaufe, finanziere ich jemand anderem eine Mahlzeit. Das kann sein in Österreich oder Deutschland über die Caritas und die Tafeln, das kann aber auch im Südsudan sein mit den Vereinten Nationen.

Das Interview mit Sebastian Stricker gibt es auch zum Anhören:

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Wie wählt ihr die Projekte aus?

Im wesentlichen sind es zwei Kriterien: Es muss echten Bedarf an Hilfsleistungen geben – uns ist dabei nicht wichtig, ob diese Not in Afrika oder Südostasien oder eben in Österreich ist. Und es muss ein Programm sein, von dem wir glauben, dass es einen Unterschied machen kann. Ein Beispiel: Man kann Lebensmittel zum Beispiel im Rahmen von General Food Distribution verteilen, wo wirklich jeder in der Population Unterstützung bekommt. Oder man zielt sehr genau auf die am meisten betroffenen Personengruppen ab.

Was war denn das erste Projekt, das du unbedingt unterstützen wolltest?

Ich war früher bei den Vereinten Nationen und habe dort eine gewisse Affinität zu bestimmten Programmen entwickelt. Schulmahlzeiten sind ein solches Programm. Die haben gleich einige schöne Effekte. Es geht um die Ernährung von Kindern und das ist besonders wichtig – gerade wenn ein Kind nicht genug zu Essen bekommt und nicht die richtigen Lebensmittel bekommt, hat das Auswirkungen auf das ganze Leben, die zum Teil nicht mehr wett zu machen sind. Gleichzeitig sind solche Programme oft ein Anreiz, dass Kinder überhaupt in die Schule gehen können. Sonst müssten sie am Feld arbeiten und so bekommen sie in der Schule vielleicht sogar eine Ration, die sie nach Hause mitnehmen können. Das ist ein Programm, das wir sehr gerne unterstützen – ein anderes sind Flüchtlingslager, wo es wirklich schwierige Situationen gibt. Meine Freundin ist gerade auf Lesbos in dem Lager Moria II und das ist ein Wahnsinn für alle vor Ort, aber auch für uns als Europäer, dass wir so eine Situation überhaupt zulassen.

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Du warst also vorher bei den Vereinten Nationen – was hat dich denn auf die Idee gebracht, ein eigenes Unternehmen zu gründen?

Vor rund zehn Jahren konnte ich mir diesen Kindheitstraum erfüllen, einmal für die Vereinten Nationen zu arbeiten. Meine Idee war immer, dass es ein internationales Setting ist, in dem viele verschiedene Kulturen aufeinander treffen. Ich wollte an etwas arbeiten, das Sinn macht und hoffentlich die Welt besser macht. Den Traum habe ich mit mit dem Welternährungsprogramm erfüllen können. Das ist die humanitäre Organisation, die versucht, akuten Hunger zu bekämpfen. Ich war dann einmal zu Mittag joggen und mir in dem Moment diese Absurdität im Kopf hängen geblieben ist: Es ist erstaunlich günstig, eine Person einen Tag lang zu ernähren. Wir reden von einer Größenordnung um einen halben Euro.

Das ist doch abstrus, dass es so billig ist, aber immer noch so viele Menschen schweren Hunger leiden. Vor Corona hieß es, dass etwa 100 Millionen Kinder an akutem Hunger leiden. Das ist einerseits sehr viel, andererseits im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wieder nicht so viel. Diese Kinder können wirklich gar nichts dafür, dass sie in dieser Situation sind. Dann sage ich dir, es kostet 50 Cent, sie einen Tag lang zu ernähren. Dass wir diese 50 Cent nicht bezahlen, habe ich schlimm gefunden und deshalb mein erstes Startup gegründet: Share the Meal. Das ist eine Mobilfunk-App, die heuer als beste App 2020 von Apple und Google ausgezeichnet wurde und mit der man diese 50 Cent spenden kann. Ich freue mich über jeden, der sie downloaded – bisher haben das etwa 4 Millionen Menschen getan. Daraus ist dann irgendwann die Lebensmittel-Marke share entstanden.

Ihr seid unter anderem mit Wasser in Plastikflaschen gestartet – das gilt nicht unbedingt als Symbol für nachhaltigen Konsum, warum diese Wasserflaschen?

Das wirkt auf den ersten Blick wirklich komisch, zumal wir in Österreich in den allermeisten Fällen das Wasser aus der Leitung trinken können. Die Idee von Share ist aber, dass wir den Konsum, den es schon gibt, nachhaltig machen. Wir stellen uns vor das Regal und sehen uns an, welche Produkte wir besser machen können. Und da sind wir relativ systematisch vorgegangen: Welche Produkte werden am allermeisten gekauft? Unser Ziel ist es dann, dass ein Produkt, das zuvor einen fragwürdigen Fußabdruck hatte, danach besser ist.

Wo lasst ihr produzieren und wie achtet ihr auf Nachhaltigkeit?

Mittlerweile haben wir etwa 50 Produkte und es werden jetzt noch deutlich mehr werden. Rund 90 bis 95 Prozent davon werden in Deutschland oder Österreich produziert und der Rest teilt sich ungefähr zu gleichen Teilen auf Europa und international auf. Die Direktive ist eindeutig, regional einzukaufen, wenn es möglich ist. Die Marke Share ist zuallererst um soziale Nachhaltigkeit gebaut. Das Versprechen, das wir machen, ist, dass du anderen Menschen hilfst. Das geht aber natürlich nicht ohne ökologische Nachhaltigkeit – Verpackungen, Lieferkette, Klima-Fußabdruck. Je nach Produktkategorie haben wir also auch ökologischen Kriterienkataloge für Lebensmittel, Hygieneprodukte oder Schreibwaren.

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Trotz alldem sind eure Produkte nicht teurer – wie gelingt euch das?

Als Unternehmer wünschte ich mir vielleicht, dass wir ein bisschen höhere Preispunkte angesetzt hätten. Wir wussten nicht, was der richtige Preispunkt ist und man sagt ja im Handel, dass schon einige Cent einen riesigen Unterschied machen können. Jetzt retrospektiv denke ich mir, dass man bei der hohen Qualität mit der nachhaltigen Idee durchaus ein bisschen höher hätte sein können. Wir werden uns wahrscheinlich versuchen, uns über die Zeit ein bisschen nach oben zu bewegen.

Aber wie funktioniert das mit diesen Preisen überhaupt? Machen wir es am Mineralwasser fest: Das Wasser in der Flasche macht einen verschwindend kleinen Anteil an den Produktkosten aus – im unteren einstelligen Centbereich. Was wirklich etwas kostet sind die Flasche und der Transport. Und das Marketing. Die wenigsten von uns schmecken bei Wasser einen Unterschied oder glauben, dass die Qualität des einen Wassers höher ist als des anderen. Wassermarken müssen also einen wahnsinnigen Marketing-Aufwand betreiben. Unser Konzept ist es, diesen Marketingaufwand lieber in soziale Projekte zu stecken. Wir hoffen, dass dieses soziale Engagement das Marketing wett macht. Wir hoffen auch, dadurch ein Entgegenkommen bei Händlern und Lieferanten zu erwirken.

Gelingt das?

Ja, ich glaube, in Wirklichkeit schon. In Österreich dm, Billa, Bipa und Merkur – das ist schon eine tolle Partnerschaft, die wir mit Händlern haben. Jetzt kommen auch noch ein paar dazu. Wir sehen dort viele Menschen, die auch an Nachhaltigkeit glauben und gerne hätten, dass Nachhaltigkeit und guter Konsum am Ende gewinnt.

Wieviele Spenden konntet ihr denn heuer sammeln?

Mehr als 2,5 Millionen Euro waren es zuletzt, das ist allerdings über unser dreijähriges Bestehen gerechnet. Die genaue Zahl für heuer kann ich nicht sagen, aber es ist auf jeden Fall ein Spendenrekord.

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Bei euch kann man Spenden über das Scannen eines Codes am Produkt auch nachverfolgen. Wieviele Menschen tun das wirklich?

Viele Sozialunternehmer glauben häufig, dass der Kunde mehr Transparenz will als er am Ende tatsächlich in Anspruch nimmt. Ich sehe das so: Die Leute haben einen gewissen Zweifel am Spendenthema – wird mit meiner Spende sorgfältig umgegangen, wieviel geht in der Administration verloren, kommt die Spende überhaupt an? Die wollen dann das Gefühl haben, dass sie sich informieren könnten, wenn sie denn wollten. Man muss die Informationen also aufbereiten und die Möglichkeit geben, sich zu informieren. In Anspruch nehmen diese Möglichkeit dann aber überraschend wenige Leute.

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