Gastbeitrag

markta-Gründerin: „Regionale Landwirtschaft alleine ist nicht das Allheilmittel“

markta-Gründerin Theresa Imre. © Anna Zora
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Theresa Imre ist Gründerin des österreichischen Online-Marktplatzes markta, über den regionale Lebensmittelproduzenten wie Biobauern ihre Produkte an Konsumenten in Wien verkaufen. In diesem Gastbeitrag beschäftigt sich Imre mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen der Ernährungs-Debatte in der Corona- und der Klimakrise.

Kühlschrank auf und mal ganz ehrlich: Bei wie vielen Produkten weißt du genau Bescheid, woher sie kommen und wer sie hergestellt hat? In den letzten 50 Jahren hat sich unsere Ernährung komplett verändert. Seit dem ungebändigten Globalisierungsboom der 80er Jahre, sowie dem Postulat von Kosten-Optimierung und Output-Steigerung in der Wertschöpfungskette, ernähren wir uns zum Beispiel von:

  • Brot-Teiglingen aus Billiglohnländern – die frisch in der Filiale aufgebacken werden und dadurch die Aufschrift „Hergestellt in Österreich“ tragen
  • Äpfeln aus Neuseeland – die bessere Margen als heimische Ernten erzielen und besonders lange „frisch“ im Regal liegen können
  • Argentinischem Rindfleisch – für das die Tiere mit Unmengen an Kraftfutter auf engstem Raum gemästet werden, obwohl für dieses schnelle Wachstum rund 15.000 Liter Wasser pro Kilo Fleisch notwendig sind.

Wen interessiert‘s? Aktuell sind es nur Minderheiten: Ökos, Bobos, Weltverbesserer und Gutmenschen – denn der Weber-Grill zählt als Status-Upgrade noch immer mehr, als die Melanzani oder das Würstel darauf. Man könnte nun lang und breit analysieren, woran es liegt, dass unser Essen seinen Wert verloren hat. Vielleicht hat einfach die Bequemlichkeit unseren Zugang zu Lebensmitteln verändert – alles muss schnell gehen & satt machen, da schaut man dann am ehesten auf den Preis.

Vielleicht lösen auch einfach andere Dinge den Wert unseres Essens ab, die „fast fashion“, „fast phones“ und „fast cars“-Industrien möchten schließlich auch bezahlt werden. Wodurch wir aktuell übrigens nur mehr knapp zehn Prozent unseres Einkommens für Essen ausgeben – in den 80ern waren es noch mehr als 25%. Liegt es also an jedem Einzelnen, was er/sie konsumiert und somit mitentscheidet, was alles umsetzbar ist? Oder ist es dann doch ein Thema von politischen Strukturen und Macht?

Soziale Dimension: Auslagerung von Externalitäten vs. ein Gegenüber haben

Corona hat den Leidensdruck in unserer Blase ansteigen lassen: Auf einmal zählt die lokale Wirtschaft, die Unterstützung der Betriebe ums Eck – von der Bäuerin bis zur Wirtin –, man möchte ein bewusstes Zeichen mit seinem Einkauf setzten. Warum erst jetzt? Weil unsere Konsumwirtschaft die Produktion so weit und so günstig wie nur möglich ausgelagert hat, es aber an Transparenz fehlt, wie wir dadurch die Strukturen anderenorts ausbeuten und unterdrücken. Als direkte Folge dieses globalen Preisdrucks mussten in den letzten 30 Jahren rund 42% der regionalen Betriebe in Österreich schließen.

Das alles ändert sich, sobald wir Zeit zum Nachdenken haben und es zum Thema wird, dass ÖsterreicherInnen nicht zu den Löhnen ausländischer ErntehelferInnen auf heimischen Feldern arbeiten wollen. Wenn die Anonymität verloren geht und das Bewusstsein steigt, kommt zwangsläufig auch die Verantwortung. Somit ja, Regionalität macht Sinn!

Ökologische Dimension: Transportweg vs. die wahren CO2- Treiber

Es ist schier unmöglich, Lebensmitteln eine einzige Kennzahl zuzuschreiben, die sie als besser oder schlechter kennzeichnet – das System ist einfach zu komplex dafür. Insgesamt ist die Landwirtschaft für 31% der globalen Klimagasemissionen direkt verantwortlich – wird Verarbeitung, Transport, Kühlung, Erhitzung, Zubereitung und Entsorgung noch dazugerechnet, landen wir bei über 40%. Die Entscheidung, was wir essen, bestimmt unseren Fußabdruck daher mehr, als woher das Produkt kommt.

Denn abseits eingeflogener Lebensmittel, wie frische Beerenfrüchte, sind es vor allem Fleisch und Milchprodukte, deren Produktion das Klima enorm belastet. Industrielle Butter hat den 150-fachen, Rindfleisch einen 90-fach höheren CO2-Ausstoß als regionales Bio-Gemüse. Diese hohen Treibhausgasemissionen sind zugleich auch immer mit intensiven, auf Produktivität ausgerichteten Bewirtschaftungssystemen verbunden, da liegt die kleinstrukturierte Landwirtschaft – wie es sie in Österreich noch gibt – gegenüber den Agrarriesen in Deutschland oder Spanien klar im Vorteil.

Ökonomische Dimension: Regional vs. Bio – oder die Seiten derselben Medaille

Sich auf diese Debatte einzulassen, ist ein Kampf auf der falschen Bühne. Es geht nicht um ein Entweder–Oder, sondern um das Verständnis, woher der jeweilige Beweggrund kommt. Am Land zählt die Nähe, das Regionale, oft mehr. Man will sich gegenseitig unterstützen, auch wenn der konventionelle Abbau die Böden zerstört. In der Stadt hingegen verschwinden nachbarschaftliche Beziehungen, und die anonyme Kaufentscheidung achtet vermehrt auf das eigene Wohl und die Umwelt als Ganzes.

Man greift zu Bio, das durch die Handelsketten zum großen Business geworden ist, indes der Preisdruck für landwirtschaftliche Betriebe weiterbesteht und ErntehelferInnen auch hier ganz am Ende der Kette stehen. Es ist wichtiger, über die Abhängigkeiten und bestehenden Machtstrukturen zu diskutieren, als sich durch vereinfachte Werbebotschaften blenden zu lassen.

Die regionale Landwirtschaft ist somit nicht das Allheilmittel für die verpfuschten Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. Was es braucht, ist ein Lebensmittelsystem, das die wirtschaftlichen Strukturen wieder lokal verankert und die Marktmacht einzelner Player – von Saatgut-Konzernen, Verarbeitungsindustrien bis hin zum Handel – aufbricht und verteilt. Damit die Wertschöpfung direkt am landwirtschaftlichen Betrieb bleibt und man sich flexibel auf die lokalen Umweltbedingungen und das sich verändernde Klima anpassen kann.

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