Analyse

Bitcoin entkommt dem Sog von Wall Street und Weltpolitik nicht mehr

Bitcoin. © Brian Tromp on Unsplash
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Aufmerksame Beobachter:innen der Märkte haben es längst bemerkt: Bitcoin und andere Krypto-Assets führen kein Eigenleben mehr, das komplett abgekoppelt von den regulären Finanzmärkten stattfindet. Man kann es nahezu täglich beobachten: Wenn die wichtigsten Leitindizes an den Aktienmärkten wie der Dow Jones, der S&P500 oder der Nasdaq100 steigen oder fallen, dann steigt oder fällt BTC (und damit meist der restliche Krypto-Markt) im Gleichschritt mit. Zwar schlägt der BTC-Kurs oft heftiger nach oben oder unten aus – aber die Tendenz und vor allem die Zeitpunkte größerer Preisbewegungen sind oft sowohl für Krypto-Assets und Wertpapiere führender Unternehmen die selben.

Aber warum ist das so? Es gab doch über weite Strecken zu beobachten, dass Bitcoin und andere Krypto-Assets, losgelöst von den traditionellen Finanzmärkten, ihr Eigenleben führten. 2017 und 2018 etwa, als es die erste Bitcoin-Explosion hinauf zu 20.000 Dollar gab und Ethereum (angetrieben durch die ICO-Welle) auf neue, zuvor ungeahnte Höhen kletterte. Dann kam ein längerer Krypto-Winter mit Seitwärtsbewegung der Kurse, und dann wieder: In der Corona-Krise erreichte Bitcoin innerhalb eines Jahres gleich zwei neue Bestwerte. Einmal im Mai 2021 bei 63.000 Dollar, und dann noch einmal im November bei 69.000 Dollar.

Hedging, das neue Narrativ

Was war davor passiert? 2020, mitten in der Corona-Krise, kam ein neues Narrativ auf. Die Erzählung, auf die man in Tweets und YouTube-Videos immer häufiger stieß: Bitcoin ist dank seines dezentralen Netzwerks, wegen seiner Einzigartigkeit, wegen seiner „Unkorrumpierbarkeit“ ein gutes Mittel zur Absicherung gegen eine kommende Inflation und gegen Krisen. Wenn Fiatwährungen am wackeln sind und die Inflation kommt, dann steht Bitcoin wie ein Fels in der Brandung.

„Unternehmen und Investoren sehen Investitionen in Bitcoin als Alternative und Ergänzung zu Investitionen in Gold und als systematische Absicherung sowohl gegen Währungsinflation als auch gegen geopolitische Instabilität, wie wir sie im Jahr 2020 weltweit erlebt haben“, beobachtete etwa Lanre Ige vom Research-Team des Schweizer Krypto-Unternehmens 21Shares Anfang 2021. Zuvor hatte sich bereits Michael Saylor, CEO und Gründer der Software-Firma MicroStrategy, zu einem der bekanntesten Bitcoin-Jünger entwickelt. Saylor bezeichnete Bitcoin unter anderem als unabhängigen Wertspeicher, der vor der Geldentwertung schütze. Und Saylor ist derjenige, der auch Elon Musk davon überzeugt haben soll, das Tesla Anfang 2021 berühmterweise in Bitcoin investierte.

Dieser Meinung schloss sich dann in Deutschland der Unternehmer Lars Müller von SynBiotic an. „Ich würde schon sagen, dass es angesichts der exzessiven Geldvermehrung sowohl in der Euro- als auch USD-Zone eine berechtigte Sorge vor einer massiven Entwertung von Fiatgeld gibt. Außerdem wollten wir mit unserer Entscheidung ein Signal setzen: Ein Hedge in Bitcoin ist machbar, Unternehmen können sich trauen“, sagte er im Interview.

Auch Square (heute heißt die Firma Block) von Bitcoin-Fan Jack Dorsey investierte viel Geld in Bitcoin. Bisher muss man diesen Firmen lassen: Sie haben mit den BTC-Investments viel Gewinn gemacht, wie das Beispiel Tesla zeigt (mehr dazu hier).

Tesla: Das große Bitcoin-Investment war kein Verlust, sondern ein guter Gewinn

Der Einfluss der Wall Street

Doch so große Investments wie Tesla oder MicroStrategy, die außerdem verhältnismäßig früh dran waren, können sich die wenigsten erlauben. Selbst die weltweit führenden Investor:innen stecken ihre Millionen und Milliarden vorrangig in Krypto-Unternehmen (hier der große Überblick) und nicht in Coins oder Token. Sie wollen nicht ins digitale Gold direkt investieren, sondern in jene, die die Schaufeln für den digitalen Goldrausch anbieten.

Warum haben sich die Aktienmärkte und die Krypto-Märkte aneinander angeglichen? Spannend ist, dass die beiden Peaks im Bitcoin-Kurs 2021 jeweils von einem Großereignis an der Wall Street begleitet wurden. Hier der zeitliche Verlauf:

  • 14. April 2021: Börsengang von Coinbase
  • 15. April 2021: BTC-Allzeithoch bei 63.000 Dollar
  • 20. Oktober 2021: Start des ersten Bitcoin-gebundenen ETFs namens BITO
  • 10. November 2021: Neues BTC-Allzeithoch bei 69.000 Dollar

Es gibt sicher noch zahlreiche andere Ereignisse in der Finanzwelt, die direkt oder indirekt mit Krypto-Assets zu tun haben. Doch sowohl der Börsengang von Coinbase als auch der BITO-ETF an der Wall Street sind neue Möglichkeiten für kleine wie große Anleger:innen, das Gefühl zu haben, in Bitcoin zu investieren, ohne direkt BTC kaufen zu müssen. Solche ETFs oder Exchange Traded Products (ETPs) gibt es an europäischen Börsen schon länger. Aber die Wall Street ist eben die Wall Street, und BITO war dort ein großer Knaller.

BITO: Der gehypte Bitcoin-ETF ist vieles, aber kein Investment in Bitcoin

„Kurseinbrüche bei Aktien haben auf die Krypto-Asset-Welt viel stärkere Auswirkungen“

„In beiden Asset-Klassen sind sehr ähnliche Akteure unterwegs“, sagt Ed Prinz, Mitgründer des Blockchain-Vereins DLT Austria, über die deutliche Koppelung der Krypto-Kurse an die restlichen Finanzmärkte. „Kurseinbrüche bei Aktien haben auf die Krypto-Asset-Welt viel stärkere Auswirkungen als noch vor 2017/2018. Durch die größere Verbreitung von Krypto-Assets ist die Korrelation zu traditionellen Assets wie Aktien deutlich gestiegen. Gleichzeitig ist der Krypto-Asset-Markt traditionell stark gehebelt. Manche Krypto-Exchanges erlauben mit einem bis zu 100-fachen Hebel zu spekulieren: Für ein Investment beispielsweise in der Höhe von 1.000 Euro benötigen Kleinanleger:innen also nur einen Einsatz von zehn Euro. Wenn man dies mit dem Faktor 10 oder 100 durchspielt, erkennt man, in welcher dramatischen Dimension Hebelspekulant:innen bei größeren Kurseinbrüchen sind. Fallen nun die Krypto-Asset-Kurse, drohen den Kleinanleger:innen, die auf steigende Kurse wetten, sehr hohe Verluste.“

Hier die Preisentwicklung von Bitcoin im Vergleich zu anderen Werten im Verlauf der letzten 6 Monate:

  • Bitcoin = Blau
  • Dow Jones = Orange
  • S&P500 = Türkis
  • Nasdaq100 = Gelb
  • Coinbase = Violett
  • BITO ETF = Pink

Putin und Biden und Bitcoin

Aber nicht nur die Wall Street zeigt zunehmend ihren starken Einfluss auf die Preisgestaltung von Bitcoin und Co., sondern auch die Weltpolitik und ihre handelnden Akteur:innen – also jener Welt eigentlich, von deren Einfluss sich Krypto-Assets sich eigentlich entziehen wollten.

„Bitcoin ist auf der geopolitischen Bühne angekommen. Daher kann er sich den Preisbewegungen des Gesamtmarktes aufgrund politischer Unsicherheiten nicht mehr entziehen. Das muss ein Bitcoin-Investor zukünftig mitberücksichtigen“, sagt Matthias Reder, Buchautor und Bitcoin Key Account bei Coinfinity. „Auch ein dezentrales Netzwerk ist nicht davor gefeit, für die Politik vereinnahmt zu werden. Russland bzw. Putin hat sich in den letzten Monaten auffällig positiv in Bezug auf Bitcoin und das Mining geäußert bzw. sogar seine eigene Zentralbank beim Versuch, Bitcoin als illegal einzustufen, zurückgepfiffen. Das ist schon sehr auffällig und schmeckt der Biden-Administration so überhaupt nicht, da diese ja eher den staatlichen Aufsichtslehrer in Bezug auf Krypto-Werte geben wollen. Ich hoffe nur, dass es zu keiner gewaltsamen Eskalation kommt, denn dabei kann es neben Opfern nur Verlierer geben.“

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