Kommentar

Jede Krise ist eine Chance? Sorry, aber das ist blanker Hohn

© Ehud Neuhaus / Unsplash
© Ehud Neuhaus / Unsplash

Die Hashtag-Kampagnen waren schneller konzipiert, als der Bundeskanzler Quarantäne oder Krise sagen kann. Innerhalb von wenigen Tagen nach Ausbruch der Gesundheitskrise wurde der nationale Schulterschluss auch in den sozialen Filterblasen geprobt: Profilbilder zierten #zusammenstaerker, #gemeinsamstark, #zsammhalten und so weiter und so fort. Die transportierte Message: Wird schon werden, Leute. Wir stehen das gemeinsam durch. Einer für alle und alle für einen. Sorry, aber das ist Bullshit.

Holy shit, the greatest depression will hit

Österreich zählt 4,3 Millionen Erwerbstätige, ein Drittel davon ist bereits jetzt über Kurzarbeit oder tatsächlichem Jobverlust beim AMS registriert. Der Kreditschutzverband 1870 veröffentlichte noch Ende März eine Pressemitteilung, die rückläufige Quoten bei den Insolvenzen bescheinigte. Diese Quoten werden sprunghaft ansteigen, sobald die Mitarbeiter der wenig digitalisierten Behörden wieder vor den Aktenbergen im Büro sitzen und ein Kleinunternehmen nach dem anderen Richtung Masseverwalter schicken.

Wagen wir den wenig beliebten Blick über den Tellerrand: In den USA haben 22 Millionen Menschen Arbeitslosenunterstützung beantragt. Nicht in 2019, sondern in den letzten vier Wochen. Das Office for Budgetary Responsibility (OBR) sagt für die Wirtschaft in Großbritannien das schlimmste Jahr seit 1900 hervor – mit 13 Prozent Rückgang der Wirtschaftsleistung. Irrelevant für Österreich? Mitnichten. Wir machen das Gros unseres BIP immer noch im guten, alten Export. Welcome to the horror show.

Merry crisis and a happy new fear

Ein paar Facebook-Gruppen weiter sieht die Realität der Unternehmerinnen in diesem Land schon ganz anders aus: Fotografinnen, Osteopaten und Restaurantbesitzer halten Pappschilder in die Höhe, die ihre Umsätze der letzten Monate dokumentieren: Die Summen schwanken zwischen 0 und geringen dreistelligen Beträgen. Menschen, die sich über Jahre Existenzen aufgebaut haben, berichten darüber, wie sie durch alle Rettungsnetze fallen, kein Paket ankommt und kein Schirm über ihnen aufgespannt wird.

Es ist die pure Verzweiflung über das jähe Ende des Traums vom selbständigen Leben. Viele EPU schreien nach einer eigenen Interessenvertretung. Im Dickicht der Schirme, Pakete und Härtefall-Formulare verirren sich auch die gewieftesten Zahlenjongleure: Steuerberater kapitulieren, Sachbearbeiter in Banken und Behörden stehen kurz vor dem Burnout; überforderte Beamte allerorten. Ergebnis: Bis die Zahlungen bei den Betroffenen ankommen, werden viele schon die Segel gestrichen haben.

+++Dieser unterschwellige Konsum-Patriotismus wird langsam mühsam+++

Schaffen wir das? Keine Ahnung. Vielleicht nach einer Dekade, in der wir noch die eine oder andere empfindliche Einschränkung unseres Lebensstandards hingenommen haben: Doppelt oder dreifach so teure Flüge, eine flächendeckende Überwachung unserer Gesundheitswerte, sündteure Produkte in den Supermärkten dank kollabierter Lieferketten, eine Entwertung der Leitwährungen. Alles ist plötzlich denk- und greifbar. Und am Horizont wartet schon die nächste exponentielle Kurve auf Entspannung: Wetterextreme, Dürre, Klima-Migration – die eigentliche Mammut-Aufgabe unserer Generation.

Billige Kampagnen helfen niemanden

Schwarzmalerei hilft niemanden. Billige Kampagnen, die aus der Krise Kapital schlagen und heimelige Emotionen bedienen allerdings auch nicht. Sie sind pure Augenauswischerei – und das ist brandgefährlich vor einer großen Depression. Je länger sich Unternehmer mit falschem Pathos in die eigene Tasche lügen, desto schwieriger wird es, die „neue Normalität“ zu akzeptieren. Natürlich, in jeder Krise gibt es Gewinner. Entstanden nicht Airbnb, Uber und andere große Namen in der Finanzkrise von 2008? Alle damals unter widrigen Umständen aus der Not heraus in Garagen geboren. Sicherlich. Aber wer kennt die ungezählten Namen und Geschichten derer, die damals alles verloren haben? Und, wenn es nach internationalen Ökonomen geht, geht es diesmal noch ein wenig weiter Richtung Süden. Nur weil unsere Generation noch keine echte Krise kennt, heißt nicht, dass wir da mit einem blauen Auge rauskommen.

Der neoliberale Schmäh wird nicht mehr ziehen

Das grundoptimistische Dogma der letzten Jahre hat keine Berechtigung mehr. Die besserwisserische, jugendliche Attitüde wird keinen CEO mehr beeindrucken. Leistung, 60 Stunden Hacke und gesundes Wirtschaften wird mit der Insolvenz belohnt. Vor allem auf die innovative Gilde, die zehn Jahre lang das Glück hatte, sich im Scheinwerferlicht sonnen zu dürfen, warten komplizierte Jahre. Zwar wären Produkte und Ideen, die die Welt retten, gefragter denn je – aber die Rahmenbedingungen ändern sich. Budgets für Spielereien werden die wenigsten Big Player haben. Denn die nächsten Jahre stehen unter der Prämisse: Fokus auf die eigene Kundschaft und das Kerngeschäft. Für feingeistige Innovationen wird da wenig Aufmerksamkeit bleiben – von wenigen Ausreißern mal abgesehen. Weinwandern mit anschließenden Pitch-Sessions?  I beg to differ.

Der neoliberale Schmäh zieht nicht mehr. Den Influencern geht das Licht aus. Risikokapital wird staatlich besichert. Halligalli-Startups gehen stempeln. Hashtag-Kampagnen werden in den popkulturellen Geschichtsbücher verschwinden. Weil einfach niemand mehr Zeit und Energie für Bullshit hat.

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