Die Große Frage: Startups retten oder auf „schöpferische Zerstörung“ setzen?
Tribespace, Rebeat, Robo Wunderkind, birdkids, Lumapod, BlueSky Energy, Mikme und noch einige andere: Das Jahr 2022 hat bereits einige Pleiten in der österreichischen Startup-Szene gebracht – und was man so aus der Branche hört, ist die Situation für viele nicht rosig. Voraussichtlich jahrelang hohe Inflation und hohe Energiepreise sowie ein Krieg in Europa haben die Investment-Laune der Geldgeber:innen gedrückt. Wie auch 2020, als Corona über die Welt hereinbrach, heißt es heute oft: Fokus auf die Portfolio-Startups, kaum Neu-Investments.
Das wirft auch die Frage auf: Muss, soll oder kann es einen neuen Startup-Hilfsfonds geben? 2020 wurden für den COVID-Startup-Hilfsfonds immerhin 50 Millionen Euro locker gemacht, die dann insgesamt Privatinvestitionen von weiteren mehr als 50 Millionen Euro hebelten.
„Werden uns als Volkswirtschaft neu erfinden müssen“
Noch ist keine große Insolvenzwelle in Österreich losgebrochen – die Zahl der Firmenpleiten hat wieder das Niveau des Jahres 2019 (also Prä-Corona) erreicht. Aber: Wer wird den Winter überleben? „Wir befinden sind in einer volkswirtschaftlich schweren Krise. Das europäische Modell – auf der einen Seite Nullzinspolitik und auf der anderen Seite billige Energie und billige Arbeitskräfte – bröckelt“, sagt Markus Raunig, der im Startup-Rat des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums von Minister Kocher (ÖVP) sitzt. „Wir werden uns als Volkswirtschaft neu erfinden müssen, und dabei wird Technologie eine große Rolle spielen.“ Allerdings: Viele Startups, die diese Technologie- und Energiewende mittragen könnten, stehen derzeit an – sie können derzeit nur in Ausnahmefällen raisen.
„Das Investitionskapital, das es in den letzten Jahren gegeben hat, das gibt es jetzt ganz plötzlich nicht mehr. Es gibt ein Marktversagen, das der Staat ausgleiche muss, und es ist dringend“, sagt Raunig. „Sehr viele Unternehmen haben Liquiditätsengpässe, und es ist deutlich schwerer geworden, Kapital aufzustellen – sowohl in der Frühphase als auch in der Spät-Phase“, sagt auch Laura Egg, Geschäftsführerin der Austrian Angel Investors Association (aaia) und ebenfalls Mitglied des Startup-Rates. „Natürlich gibt es Ausnahmefälle, aber es gibt viele Startups, die bereits auf einem guten Weg sind und dann aber keine Anschlussfinanzierung bekommen.“
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Welche Vorschläge liegen nun am Tisch? Eine Neuauflage des COVID-Startup-Hilfsfonds wurde in der Vergangenheit immer abgelehnt. „Die Mobilisierung von privatem Kapital wäre jedenfalls wichtig“, sagt Egg. Und verweist auf den schon lange im Raum stehenden Vorschlag eines Beteiligungsfreibetrags. Der würde Steuererleichterungen für Investor:innen bedeuten, die dann eher gewillt sind, in Startups zu investieren, als sich aus der Risikoklasse zurückzuziehen.
Außerdem wird der Wunsch nach einem neuen staatlichen Fonds wieder lauter. „Wir hatten hier lange den Gründerfonds und den Mittelstandsfonds. Ein Euro staatliches Kapital hat hier acht Euro privates Kapital mobilisiert. Beide sind letztes Jahr ausgelaufen“, sagt Egg. „Wir sind das einzige EU-Land, das aktuell keinen staatlichen Fonds hat, der direkt in Startups investiert.“ Sie – und viele andere – würden da gerne eine Neuauflage sehen.
Das nächste BioNTech
„Never let a good crisis go to waste“, soll Winston Churchill mal gesagt haben. Die Krise als Chance für neue Geschäftsmodelle und Firmen. Das passt etwa zur Finanzkrise, als damals Dinge wie WhatsApp, Instagram, Airbnb und nicht zuletzt Bitcoin entstanden. „Startups sind Träger von Krisenlösungen. Energie, Klima, Gesundheit – Startups, die diese großen Probleme angehen, werden so wie BioNTech sehr viel Erfolg haben“, sagt Raunig.
BioNTech, ursprünglich von Uğur Şahin, Özlem Türeci und Christoph Huber mit der Vision gegründet, Tumore von Krebspatienten durch individualisierte Therapie zu bekämpfen, ist zum Paradebeispiel eines Spinoffs geworden, das seinesgleichen sucht. BioNTech ist ein Spin-off der Johannes Gutenberg Universität. Das 2008 in Mainz gegründete Unternehmen kannten 2019 nur Fachexpert:innenen. 2022 hat jeder BioNTech schon mal gehört – es sind die deutschen Forscher:innen-Helden, die als erstes Unternehmen mit ”BNT162b2” einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickelt und weltweit zum Einsatz gebracht haben.
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„Panik und Angst sind schlechte Berater“
Während vor allem Europa stark unter den Folgen der COVID-Pandemie und des Kriegs gegen die Ukraine leidet, reden viele mittlerweile vom Kriegsgewinner USA. Die wollen die Europäer:innen nicht nur mit (teurerem) Flüssiggas als Ersatz für russisches Erdgas versorgen, sondern auch ordentlich an der militärischen Aufrüstung der europäischen NATO-Partner mitverdienen. Und: Es gibt Tendenzen, dass Industrie vor allem in den USA ausbaut anstatt in Europa. Was kommt da auf uns zu im Winter und danach?
„Ich bin im Grunde immer eine optimistische Person, deswegen schaue ich nicht allzu pessimistisch in den Winter“, sagt der deutsche Starökonom Lars Feld, der auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) berät. „Man muss keine Panik machen, Panik und Angst sind schlechte Berater. Am besten bleibt man nüchtern.“
Ihm zufolge sieht es derzeit danach aus, als würden Länder wie Deutschland und Österreich wieder tief in die Staatskassen greifen, um Unternehmen zu retten. In Deutschland ist ein 200 Milliarden Euro schweres Maßnahmenpaket in Planung, das soll auch Unternehmen vom Druck der hohen Energiepreise befreien. Doch es ist fraglich, ob es auch sinnvoll ist, zu versuchen, alle zu retten – nach dem Motto „Whatever it takes.“
Zieht man aber den in Österreich geborenen Ökonomen Joseph Schumpeter und sein Konzept der „Schöpferischen Zerstörung“ heran, dann ist es manchmal im Sinne einer Wirtschaft, veraltete Unternehmen ihren natürlichen Tod sterben zu lassen. „Da entsteht häufig Neues, was größere Wertschöpfung bringt“, sagt Feld. „Schöpferische Zerstörung heißt: Marktaustritte von Unternehmen, deren Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren, sollte man nicht aufhalten.“
Ob die Politiker:innen, die die Hilfspakete schnüren, auch nach Schumpeter handeln, ist eher fraglich. Feld: „Das kommt in der Politik zunächst schlecht an, weil es heißt: da gehen Arbeitsplätze verloren. Man will Insolvenzen nicht zulassen, das hat man in der Corona-Krise gesehen und man sieht es jetzt in der Energiekrise. Der Staat ist eher bereit zu helfen, statt zuzulassen, dass sie aus dem Markt gehen.“
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Die Macht der „kleinen Urlaube“
Panik und Pessimismus links liegen lassen und auf eine positive Zukunft fokussieren – gar nicht so leicht für Jungunternehmer:innen in der aktuellen Krise. Wie bleibt man also optimistisch? „Ich achte ganz bewusst drauf, dass ich jeden Tag kleine, schöne Dinge mache, die mir Energie geben“, sagt die Psychotherapeutin Simone Engländer. „Ein Trick ist, den Alltag mit möglichst vielen Aktivitäten gestalten, die potenziell positive Gefühle ermöglichen“, sagt die die Psychotherapeutin Simone Engländer. „Das kann ganz individuell sein: gut Essen gehen, Yoga machen, Freunde treffen, am Abend kochen, sich ein Eis gönnen. Selbstfürsorge ist ganz individuell.“
Warum manche trotzdem ständig schwarz sehen, liegt in der Natur des Menschen. „Wir haben von Natur aus eine Tendenz zur Negativität, sagt Engländer. „Es war für den Urmenschen überlebenswichtig, ständig zu schauen, ob ein Löwe im Busch sitzt und nicht, die Sonne zu bestaunen. Man muss diese Schwäche wahrnehmen und immer wieder dagegen halten.“
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